Der Schreibtisch 03/2017 – Hans Zimmer saves the day – Update: Las Vegas

Recht ereignisarm liegt die vergangene Woche in ihren letzten Zügen. Eine Woche des Ausharrens, Annäherns und Zurückruderns. Eine Woche wenig überraschender Überraschungen. Kein Wunder, dass man zum Sonntag Abend noch keine Zeile auf Kette gekriegt hat, lieber zum Spielen rausgegangen ist. Oder zum Bespielen lassen. Danke, Hans Zimmer. Danke, dass der Mitschnitt seines Prager Konzerts vom vergangenen Juni exklusiv und nur am 01. Oktober in den großen Kinosälen Einzug hält. Und Danke an eine kleine Person mit großer Klappe, die mich überredet hat, mir diese gewaltige Performance nicht entgehen zu lassen

Politischer Stuhltanz und Spanische Eskalation

Doch dieses Highlight ließ auf sich warten, vorher regierte mediale Trägheit. Es gab sowieso nur ein großes Thema, zumindest fast. Und alle waren sie schröcklich überrascht über genau jenes Wahlergebnis, was sämtliche Prognosen ziemlich genau so vorher gesagt hatten. Jetzt kommt also wieder mal Jamaica nach Deutschland, man kann davon ausgehen. Der rasende Rolli hat schon Platz gemacht, um dem Lindner sein Finanz-Spieleparadies frei zu räumen. Für die Grünen braucht es noch weniger Mühe. Als schwächste Partei im Bundestag mal wieder oben mitspielen zu dürfen benötigt keine großen Argumente mehr. Und Frauke hat die Schnauze voll. Vier weitere Jahre Schmutz zu erzählen, den man selbst nicht glaubt, nur um eine immer weiter nach rechts driftende Parteibasis noch irgendwie abholen zu können, lass das mal Obersturmführer Gauland machen.

In Spanien dagegen kreist die Krawallbürste. Unauflöslich sei der nationale Zusammenhalt des Landes, was Teile der Katalanen freilich ganz anders sehen. Das von der Generalität als illegal erachtete Referendum findet statt, die Staatsgewalt reagiert, hetzt seine Guardia Civil mit Gummigeschossen und Schlagstöcken auf Wahlurnen und Wahlvolk und gibt diesen noch die Schuld an der Eskalation. Zur Stunde sind viele hundert Menschen in medizinischer Behandlung, versuchen, demokratische Grundrechte in Anspruch zu nehmen. Natürlich kocht die Stimmung über, hier geht es um viel: Spanien kann sich kaum von der Finanzkrise erholen, jetzt könnte sich das Land topografisch spalten.

Hurra Hurra, die Vollbeschäftigung ist da

Der EU-Polizei Deutschland würde das sicher gegen den Strich gehen, hätte man sich nicht mittlerweile großteils ins Nationale zurückgezogen. Da gibt es dann auch gleich viel Erfreulicheres, mit knapp 2,5 Millionen ist die Arbeitslosenquote so gering wie zur Wiedervereinigung. Hurra, ein gelungener Start in die neue Legislaturperiode. Dass im Sommer hunderttausende ehemalige Schüler als arbeitssuchend in die Statistik fließen und vor dem Herbst in Ausbildung oder Studium entschwinden – Vielleicht ein Faktor. Dass die Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse, Leiharbeiter, Teilzeitkräfte und überhaupt jene, die von ihrem Lohn kaum die Miete zahlen können, dennoch unverändert hoch ist, sie aber nur nicht in den Zahlen auftauchen – Geschenkt! Wer wird denn auch immer gleich ins Detail gehen wollen…

Hoch hinaus und unter die Erde

Ähnlich himmelhoch jauchzend zampaniert sich auch Elon Musk durch die Gegend, seines Zeichens Frontsau von Tesla, Inc. 2024 schon will er mit seiner „Big Fucking Rocket“ (sic!) Dutzende Menschen zum Mars schicken und gleich noch allen Fluggesellschaften den Rang ablaufen (Air Berlin jedenfalls hat schon vorgesorgt). Alle auf den roten Planeten? Auch eine Möglichkeit zur Lösung der Klimaprobleme, Tesla will auf lange Sicht ganz vorne mitspielen. Vielleicht aber auch nur die Schnapsidee eines unausgelasteten Milliardärs mit Hang zum Größenwahn, der von Raketentechnik wohl ähnlich viel versteht wie von Dieselmotoren. Und wenn man uns auch noch so weit weg schicken will, gestorben wird immer noch ganz klassisch und herkömmlich. Hugh Hefner hat es diese Woche erwischt, ein Mann, dessen Lebenswerk sicher streitbar ist, der sich aber seines Ikonenstatus sicher sein kann. Über Joy Fleming wird dabei wohl weniger geredet werden, dabei wurde sie doch gar von Janis Joplin als beste Stimme Deutschlands geadelt.

Hans Zimmer saves the day

Ein Deutscher, dessen Weltruhm noch viel weniger weg zu zementieren geht, hat zumindest ein Geschenk auf Tasche für all jene, die noch nicht in den Genuss eines seiner beeindruckenden Bühnenauftritte gekommen sind – Ein Live-Mitschnitt des Konzerts in der Prager O2-Arena, auf Zelluloid gebannt und für einen Abend auf der großen Leinwand zu bewundern. Ich war schon gespannt, ein bisschen immerhin – Eher neugierig interessiert und für eine Sonntag-Abend-Option abseits der heimischen Couch durchaus zu begeistern. Nicht nur ist meine Begleitung eine grundsätzlich super-sympathische sichere Sache, sondern auch kongenial penetrant, wenn es darum geht, mir die kulturelle Über-Relevanz dieses Happenings nonchalant um die Ohren zu zimmern (Ba Dum Tss!). Gut, sie muss es wissen, hat sie Zimmers gut 70-köpfige Mannschaft um Chor, Orchester und Band doch erst dieses Jahr in der Arena Leipzig live erleben dürfen – und kann seitdem eigentlich mit keinerlei Erwartungen mehr zu irgendeinem Konzert gehen, die Ärmste.

Großen Dank auch an das Light Cinema in Halle (Saale), welches in seiner audiovisuellen Klasse die meisten großen Kinosäle in den Schatten stellt und so den geeigneten Rahmen bietet, um Zimmers Kolossalität einer Show auch nur ansatzweise einzufangen. Wände und Boden beben recht ordentlich, als sich das Ensemble durch die Wucht von „The Dark Knight“ und „Inception“ pflügt. Doch bereits weit zuvor hatten mich der Komponist, seine leidenschaftlich agierenden Mitstreiter – unter denen sich so illustre Gestalten befinden wie The Smiths‘ Johnny Marr, Guthrie Govan aus Steven Wilsons Band, Mike Einziger von Incubus und E-Cellistin Tina Guo, die mit ihren drei Jahrzehnten wohl schon mit jedem der Menschheit bekannten Künstler auf der Bühne gestanden hat – und die gestochen scharfe, nahezu perfekt geschnittene und dennoch vereinnahmend intime Inszenierung in ihren Bann gezogen. Mit dem Crimson Tide/Angels and Demons-Doppel, welches sich in geradezu proggiger Verspieltheit in eine immer mächtigere Urgewalt hoch schraubt, bekommt man ein Gefühl dafür, wozu ein paar Dutzend Menschen mit klassischen Instrumenten und Kraft ihrer Stimmen in der Lage sind. Weshalb die leiseren Momente nicht zu kurz kommen müssen: Die perkussive 80er-Jahre-Ästhetik des Rain-Man-Themas, wohlige Kindheitserinnerungen mit „Circle of Life“, die brodelnd-dichte Atmosphäre zu „The Thin Red Line“ und das gefühlvolle Zwischenspiel in Gedenken an die Opfer des Aurora-Attentats bei der Dark Knight Rises-Vorführung.

Zimmer selbst übt sich dabei in saloppem Understatement. Ein Performer, der nicht performen will, lieber seinen Kollegen auf der Bühne Zeit und Raum zur Entfaltung gibt. Einer, der Mensch bleibt, in dem er sich nicht in den Vordergrund drängt, dem man sein Lampenfieber auch immer ein wenig anmerkt. Und einer, der eine zweieinhalb-stündige klassische Konzert-Veranstaltung in eine siedend heiße Rock’n’Roll-Oper verwandeln kann, zum Bersten gefüllt mit Action, Emotion und Dramatik. Ein Grund neidisch zu sein auf eine gewisse Person, die das in schon ganz anderer Atmosphäre zum ewig Erinnern – oder eben Verdrängen – mitnehmen durfte, aber man war ja selbst doof genug, nicht hinzugehen. In jedem Fall waren gut 140 Minuten Kino selten kürzer gewesen.

Update: Las Vegas

Vielleicht sollte man dankbar sein, wenn mal weniger Außergewöhnliches passiert, denn gute Nachrichten haben selten Sensationscharakter. Gerade noch schreibe ich von Zimmers Tribut-Stück für die Opfer Auroras, erst gestern im Kino gesehen und emotional mitgerissen. Meine Begleitung sagt mir, zu seinem Auftritt in der Arena Leipzig war der Anschlag bei Ariana Grande in Manchester gerade ein paar Tage alt. Das Stück hat er an jenem Abend den dortigen Opfern und Hinterbliebenen gewidmet.

Jetzt, wenige Stunden später, wird erneut eine Musikveranstaltung zum Schauplatz verachtenswerter Gewalt. Über 50 Menschen sterben, als ein widerlicher Feigling aus dem 32ten Stock des Manderlay-Hotels wahllos automatisches Feuer auf das Route 91 Harvest-Festival am Mid Strip Las Vegas eröffnet. Ein Ansässiger der Stadt soll es gewesen sein, von der Polizei niedergestreckt. Nur bringt das die friedlichen Besucher des Festivals auch nicht wieder zurück.

Konzerte haben sich zu einer grotesken Spielwiese für barbarische Schweinehunde und Geistesgestörte entwickelt, die ihren Unmut und ihre Unzulänglichkeiten durch das sinnlose Töten Unschuldiger zu kompensieren versuchen, die mediale Aufmerksamkeit gibt’s schließlich kostenlos oben drauf. Im Sommer 2016 hatten die Deftones ihr nach dem Bataclan-Attentat verschobenes Konzert in der Berliner Columbiahalle nachgeholt. Ich erinnere mich, wie die Vorband Three Trapped Tigers mit einem harten Drumkick in ihr Set einsteigt und wir und andere Leute unweigerlich zusammen zucken, sich erst umsehen und vergewissern mussten, dass das zu dem Auftritt gehört. Eine unterschwellige Angst, mit der man mittlerweile lebt, wenn man an öffentlichen Veranstaltungen teilnimmt. Doch das ist der Unterschied: Wir leben, mussten eine solche Situation nie selber durchmachen, können nach jedem Konzert nach Hause gehen und davon erzählen. Wieder sind es mehrere dutzend Menschen, denen dieses Glück nicht mehr zuteilwird.

4 Gedanken zu „Der Schreibtisch 03/2017 – Hans Zimmer saves the day – Update: Las Vegas“

  1. Hätte ich gewusst, das der große Johnny Marr auch beim ollen Zimmer dabei ist, hätte ich doch sicher länger überlegt, ob ich mitkomme. Naja, zumindest bis ich dann einfach ne Smiths-Scheibe rausgekramt hätte. 😉

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