Der Schreibtisch 11/2017 – Der Bitchmove des Chrissy L.

Juppheidi, Juppheida, das Polit-Büro ist da. Jahaa, endlich wieder Politik! …Gääähn… Gut, es war aber auch träge und öde die vergangenen Wochen. Also träg-öde. Kommt ja nicht umsonst von Trägödie. Aber jetzt, jetzt ist alles neu, und es kommt wieder Schwung in die schlaffen Fettpolster. Alle sind aufgeregt, jeder will mitreden, alles hat eine Meinung. Warum also nicht auf den Korso aufspringen und mit aufgeregt sein, bevor nächstes Wochenende schon wieder jeder gelangweilt und so gar nicht mehr aufgeregt ist. Die Zeit drängt, der Tag ist kurz, auf geht’s!

Suppenkasper

Man stelle sich eine wenig genießbare Suppe vor, die gemeinhin nur aus grünen Gurken, gelbem Mais, schwarzer Auberginen-Schale und noch viel unbeliebteren Schwarzwurzeln besteht, zusammen gehalten von literweise zäh-viskosem, Geschmacks-neutralem Wasser-Sud. Seit zwei Monaten köchelt diese Nullnummern-Melange vor sich hin, keiner will sie haben, kaum jemand nimmt Notiz von ihr. Bis ein blondschopfiges, auf Wachstum gebürstetes Wuppertaler Vorzeige-Bübele daher kommt, fein säuberlich den Mais aus der Brühe fischt, ordentlich mit Salz, Pfeffer und Tabasco nachwürzt und einmal kräftig umrührt.

Schon steigt das Interesse an der vormals charakterlich überschaubaren Teufels-Mischung, während sogar das ranzige blaue Schlumpf-Eis am anderen Ende der Nahrungskette aus seinen finsteren Tiefen hervor gewurzelt kommt und mit den Karies-Hufen scharrt. Alle wollen sie auf einmal wieder Suppe essen oder gleich eine ganz neue Suppe haben – oder eine nur mit Auberginen-Schalen, Hauptsache es bewegt sich was und man wird satt.

Politische Faultier-Komatösität

Ein vielfältig schallendes „Sláinte“ daher an die innenpolitischen Ressorts der deutschen Qualitäts-Journaille-Landschaft. Nach übergangsweise wachkomatösen Zuständen darf endlich wieder maximalst energisch in die Tastaturen gehämmert werden, man hat ja sonst nix. Was war das aber auch für ein Ergebnis-befreites Perma-Ringen bei CDU/CSU, FDP und den Grünen um Positionen, Zugeständnisse, Kompromisse – Ein Lethargo-Scharmützel, das eigentlich niemand hören, sehen oder riechen und noch viel weniger ein Schreiberling oder eine Schreiberlingin ernsthaft darüber berichten müssen wollte.

Der Souverän hingegen wird sich ganz gut zu Recht gefunden haben, das Faultier-Live-Action-RPG kennt er nicht erst aus vier Jahren Großer Koalition. Aber Holla und Jippiekowski, die Verhandlungen zur Bildung einer Jamaika-Koalition sind abgeschlossen, und das viel früher als prognostiziert. Ja, Mensch! Nur so ganz zufrieden sind die werten Herren und Damen Landesvorderen auch damit schon wieder nicht, diese vermaledeiten Diven. Oder war da was? Warum noch gleich? Ach stimmt, da war tatsächlich was, nämlich:

Der Bitchmove des Chrissy L.

Jamaica

Hat er? Nein! Der hat wirklich, oder!? Ja, hat er. Lindner hat die Gespräche platzen lassen. Ein Land ist in Aufruhr, eine Nation harrt ohnmächtig. Inwiefern das von langer Hand taktiert war, wie viel gezielter Statement-Populismus dahinter steckt, frei nach ‚Hauptsache Gesprächsthema und als Aschen-Phönix Flagge zeigen‘, sei dahingestellt. Vielleicht will sich der Krischan doch wieder mehr auf seine Model-Karriere konzentrieren, wie von einem seriösen Online-Magazin postuliert.

Aber ich habe es bereits an anderer Stelle erwähnt und rezitiere gerne: Der Typ bringt sich ins Gespräch, funktioniert mit simplem Profil für simple Gemüter, während man von ihm halten kann was man will. Und um das nur klar zu stellen: Nein, ich mag ihn nicht. Ich mag sein Raubtier-Kapitalismus-Konzept genauso wenig wie seine Arroganz und sein Gesicht. Und wenn Deutschland aus seiner Geschichte schon nicht gelernt hat, dass es nie wieder Nationalsozialismus geben kann, dann doch zumindest, dass die FDP nie wieder in Regierungsverantwortung ziehen darf. Nicht für meinen Leipzig-Lifestyle bei verhältnismäßig schmalem Geldbeutel, erst recht nicht für all die Leute, die noch viel weniger haben als ich und gegeißelt genug sind.

Aber sein Handeln, welche Gründe auch immer dahinter stehen mögen, ist nun mal legitim, man kann das machen. Es ist nichts Außergewöhnliches dabei, nur ist die deutsche Parteienlandschaft mittlerweile viel zu dumpf sediert, um mit solchen Stolpersteinen umgehen zu können. Jetzt heißt es Alternativen suchen, progressiv handeln, vielleicht noch einmal bei Null anfangen. Und doch stellt sich ganz Gotham nur die eine Frage:

Wo… Ist… Schulz?

SPD

Der partei-interne Kurs von Maddin und Gefolge stand in Stein gehauen wie die Stelen vor Höckes Haustür: Wir gehen und bleiben Opposition. Steinmeier hingegen wedelt kurz mit seinem Magic Stick und nun beginnen dennoch die Gespräche. Macht die SPD also das, was sie seit vielen Jahren bis zur Perfektion durchexerziert, nämlich Versprechen brechen, Wählerschaft verprellen, willfährig an die futterlosen Tröge von Angies Restmacht krabbeln? Natürlich ist das alles andere als einfach, eine Lösung muss her, ob Koalition oder Wegbereiter zum Minderheits-Auftrag. Und auch wenn es momentan recht entspannt läuft, der Status Quo zumindest keine neuen legislativen Gemeinheiten hervor bringen kann, braucht es auf lange Sicht ein funktionierendes Kabinett, um im politischen Vakuum den verprellten rechten Rand nicht weiter erstarken zu lassen.

Trotz ihres momentanen Strauchelns ist die SPD nun einmal eine erfahrene Volkspartei, die sich die Bockiges-Kind-Nummer nicht leisten kann. Letztlich müsste sie – und das wird traurigerweise nicht stattfinden – ihre Basis entscheiden lassen, welchen Weg man wählt, oder ob man es auf Neuwahlen ankommen lässt. Das wäre kein Zeichen ideologischer Schwäche oder Ziellosigkeit, sondern konsequent, will man sein Paradigma der sozialen Kurskorrektur verwirklichen, will man sich vom gewissenlosen Wachstums-Dampfer CDU abgrenzen, sich ernsthaft umorientieren.

Dennoch, eine GroKo darf nicht erneut passieren! Es sind weniger Flüchtlingssituation und Terrorangst, welche die momentane Stimmung kontrollieren, sondern vielmehr Jahre langer Stillstand in Berlin, das Fehlen einer konstruktiven Linie, die Eliminierung von Kritik und Widerstreit. Die CDU jedoch würde sich nie erträumen, der SPD mehr gestaltendes Gewicht zuzugestehen. Es wäre der endgültige Tod für die Sozialdemokraten! Profitieren würden die Extreme und in der Mitte ein vielleicht absolut mehrheitsfähiges Bündnis CDU/CSU/FDP. Man muss auch die SPD nicht mögen, vergeigt haben sie genug, oder als Prügelknaben den Dreck der großen Konkurrenz ausgebadet. Aber ihr Anstrich des sozialen Gewissens fungiert nach wie vor als traditionell beruhigendes Methadon-Zäpfchen, dessen Wegbrechen eine ganze politische Agenda zum Einsturz brächte. Eine Links-Partei braucht dann leider auch nicht mehr kommen, um noch etwas retten zu wollen. Woher sollten sie die Kraft nehmen, wo Anschluss finden? Gestalten für den kleinen Mann, soziale Marktwirtschaft, eine gesellschaftliche Mitte – Sie alle dürften es sich als Fußnote gemütlich machen, bevor sie von der frei geräumten Bahn für Wirtschaft und Finanz handlich glatt planiert werden.

Marc-Uwe Kling - Wer hat uns verraten?

2 Gedanken zu „Der Schreibtisch 11/2017 – Der Bitchmove des Chrissy L.“

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