Five Finger Glüh-Punsch – Die 5 besten Konzerte 2017

„Live is life“ – oder so ähnlich. Natürlich muss man das alles nicht tun: Viel Geld ausgeben, um mit Tausenden, die Sicht versperrenden Menschen in überfüllten, unter-klimatisieren Konzertsälen die Füße wund und den Rücken krumm zu stehen und dermaßen grenzwertig abzuspacken, dass man die Erfindung der Handy-Kameras nur zu gerne revidieren möchte. Aber wenn man Musik mag, also wirklich mag, dann führt eben kein Weg daran vorbei. Denn Konzerte sind zwar anstrengend, aber eben auch immer wieder ein Erlebnis. Und gerade wenn man in einer Stadt wie Leipzig lebt, sind diese Erlebnisse oft nur einen Katzensprung entfernt und entscheiden das Wettrennen gegen die eigene Couch oft kinderleicht für sich.

05: Lost in Kiev (Tipi/Westwerk + Werk 2, Leipzig)

Lost in Kiev

Zwei Mal standen sie nicht auf dem Plan, zwei Mal durfte man sich glücklich schätzen, die drei Franzosen von „Lost in Kiev“ live erleben zu können. Sowohl als angekündigter Support zu den großartigen schwedischen Post-Rockern von „pg.lost“ als auch spontan auf der Durchreise zum deftigen Rock-Inferno mit „Stoned Jesus“ im Werk 2: „Lost in Kiev“ schaffen es, das in letzter Zeit eher stiefmütterlich beachtete Feld Post-Rock mit neuem Leben zu füllen. Weil sie songorientiert und harmonisch zu Werke gehen und mit griffiger Gitarrenarbeit direkt in Kopf, Magen und Beine fahren. Und weil sie eine mitreißende und intensive Performance liefern, die gestandene Instrumental-Rock-Veteranen ebenso überzeugt wie das Genre-ferne Stoner- und Hard-Rock-Publikum.


04: Birdeatsbaby (Hühnermanhattan, Halle/Saale)

Mishkin Fitzgerald

Das bunkereske Grau des Halleschen Hühnermanhattans mag nicht als Epizentrum exzentrischer Klangerlebnisse erscheinen und hauptsächlich wollte man an jenem Abend ja den immer wieder gern gesehenen „Ballad of Geraldine“ lauschen. Was dann allerdings als zuvor nie gehörter Headliner „Birdeatsbaby“ über die Bühne fegte, lässt sich mit Worten kaum beschreiben. Dark Cabaret nennen die Brightoner ihre wilde Fahrt, während der sie sich, bewaffnet mit einer orange-haarigen, rundum tätowierten Undercut-Furie an Mikrofon, Keyboard und Akkordeon, daneben Drums, Bass und E-Bass und nicht zuletzt einer nicht minder wahnwitzigen Violinistin amtlich durch Pop, Punk, Metal, Glam und Klassik berserkern. Und wenn Frontsau Mishkin Fitzgerald die Stimm-Klaviatur rauf und runter wütet, faucht, säuselt, schreit und zur großen Operetten-Geste ausholt, dann darf sie neben Muse und den Nine Inch Nails auch Maynard James Keenan zitieren und Tools „Sober“ covern.


03: Guano Apes (Haus Auensee, Leipzig)

Guano Apes

Die Chancen standen 50:50, dass es ein fremdschämender Reinfall oder die volle Nostalgie-Packung wird. Dass die Tour der Feier des 20-jährigen „Proud like a god“-Jubiläums galt ließ allerdings hoffen. Und auch wenn sie von ihrem Debut „nur“ etwa zwei Drittel aufleben ließen, pulverisierten die Göttinger Jungs und Mädel jede Skepsis im Vorbeigehen. Man kann von ihrem jüngeren Output halten, was man will, aber die „Guano Apes“ sind gestandene Entertainer und zelebrieren den kompletten Abriss, mit unbändiger Energie und Spielfreude, Widerhaken und Selbstbewusstsein. Und das nicht zu bremsende Publikum in allen Altersklassen macht Dinge, die heute eigentlich schon der Etikette wegen verboten sind, das heißt Crowdsurfen, Moshpit, die gute alte Zeit! So durchnässt verlässt man mittlerweile selten einen Konzertsaal, mit breitem Grinsen und der wohligen Gewissheit, ein Stück Jugend neu erlebt zu haben.


02: Emma Ruth Rundle + Jaye Jayle (UT Connewitz, Leipzig)

Der Tag des ersten Wintereinbruchs – und unendlich schade für all jene, die in dem Chaos nicht ihren Weg zu Emma Ruth Rundles Show finden konnten. Denn es sollte ein unvergleichlich emotionaler Abend einer großen Künstlerin mit noch größerer Stimme werden, die ihre Musik lebt, fleht, mit ihr leidet, teilweise den Tränen nahe. Ihre Band setzt sich fast vollständig aus Musikern des Support-Acts „Jaye Jayle“ zusammen, die zuvor mit croonender Mark-Lanegan-Stimme, später Iggy-Pop-Gelassenheit, Kyuss auf Totenmesse und spannenden Songstrukturen für Ausrufezeichen aus Nebel-verhangenem Blues und relaxten Rock-Stampfern sorgten. Zusammen mit der Singer-Songwriterin arbeiten sie nicht einfach eine Setlist ab, sondern definieren Rundles Stücke neu, variieren und geben ihnen Raum zum Atmen. Am Schluss spielt die Grande Dames das berührende „Real Big Sky“, ohne Verstärker, ohne Boxen, nur mit einer einsamen Akustik-Gitarre. Es ist einer dieser ehrlichen, unmittelbaren Konzert-Momente, wie es sie nur selten gibt.


01: Lorde (Tempodrom, Berlin)

Nach dem Erfolg des Debuts „Pure Heroine“ konnte Lorde mit „Melodrama“ nur verlieren und gewinnt doch alles, mit einem reifen, starken Stück Pop-Musik, einem der besten Alben des Jahres. Demgemäß wurde ihr Abend im Berliner Tempodrom auch ein (Melo-)Drama in drei Akten: Selbstverständlich durchkomponiert bis ins Detail, aber dennoch mit genügend sympathisch-verschrobenen Momenten, wie sie wohl nur Leute wie Lorde oder Florence Welch hinbekommen, die bei allem Applaus bis heute nicht so ganz verstehen, weshalb sie da überhaupt stehen dürfen und ihnen unzählige Leute zuhören. Im schwarzen Gothic-Look eröffnet sie als 16-jährige Lorde-Inkarnation den Sturm und Drang ihrer „Pure Heroine“-Phase. Weiß gewandet zeichnet sie im Mittelteil ihre Selbstfindung auf dem Weg zu „Melodrama“ nach, um im wunderschönen blauen Abendkleid schließlich das mächtige, energiegeladene Finale aufzufahren. Ungehemmt fegt sie über die Bühne, verliert sich gänzlich in ihrer Musik, lässt bei „Royals“ Wände und Fußboden beben und holt über „Perfect Places“, „Team“ und „Green Light“ zur ganz großen Geste aus. Unter frenetischem Jubel nimmt man ihr die kindliche Freude und die tiefe Dankbarkeit zu jeder Sekunde ab, die sie mit natürlichem Charisma in ihren leidenschaftlichen Auftritt legt. Lorde gehört bereits jetzt zu den wirklich Wichtigen und da ist immer noch mehr möglich.

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