Island Reisebericht – Tag 7 – Penis, Punk, Pastoren-Pomp

Kraterstimmung

An irgendeinem Punkt der Geschichte müssen sich sämtliche isländischen Duschinstallations-Ingenieure und Klempnergesellen per Brennivín-Challenge in permaderilierende Zustände geschüttet haben. Das Frischwasser-Mobile existiert ungehemmt inmitten des Badezimmer-Verschlags an sich rum, zur vollständigen Lächerlichkeit nur von einem bemitleidenswerten Vorhangs-Versuch halb umsäumt, der nicht annähernd auch nur in die Nähe der auffallend unebenen Bodenfliesen gelangen könnte. Aber gut, ist ja nicht meine Wohnung, sollt ihr doch den Wasserschaden an der Backe haben, gebt mir Futter! Na das habe ich aber auch schon in weit blasphemischerem Überschwang aufgebahrt gesehen… Leichter Unmut stellt sich ein, könnte aber auch mit der melancholisierenden Grundstimmung zu tun haben, die solche letzten Reisetage ja ganz gerne umspült.

In jedem Fall wird sich Bullroc, das Biest, der erste seiner Linie, ein letztes Mal beweisen müssen, während wir uns in Richtung des klangvollen Vulkankraters Grabrok aufmachen. Nach locker-flockigem 516-Stufen-Aufstieg kann der Blick auf das Kraterinnere erst wenig schocken, das liegt halt so rotbraun und leicht bemoost da, wie das erkaltete Vulkanfelsen halt gerne so machen. Um Grabrok herum gibt es allerdings noch mehr und weitaus imposantere Hochdruck-Erdlöcher, da diese inmitten des eher ebenen Terrains monolithisch aus dem Boden gemeißelt von weit weniger Tourismus-freundlichen Zeitaltern berichten und ein mulmiges Gefühl in der Magengrube samt der leisen Frage zurück lassen, wie erloschen so ein erloschen eigentlich gemeint ist. Dass sich der Himmel dabei wie schon in Dyrholaey zusehends verdunkelt, steigert die dystopische Endzeit-Stimmung. Am Ende wird’s nur Regen, die Herrschaften Wetter werden sich den ganzen Tag über in miesepeternder Nehmerlaune zeigen. Gut, dass wir Reykjavik ja schon an unserem ersten Reisetag ausgiebig in Augenschein nehmen durften. Außerdem meinen die Wetteronkel und –onkelinen, dass diese trübe Suppe locker drei weitere Tage rumsuppen wird – Wieder einmal: Alles richtig gemacht!

Grabrok Krater
Kraterlandschaft am Grabrok

Reality Check 1.0

Ein wenig kleidsamer Habitus wehmütig näher rückender Reiseziellinien ist zudem, dass man beginnt, sich schleichend wieder mit ganz profan-alltäglichen Dingen wie den Zwängen der Realität zu beschäftigen, die man zuvor noch so kongenial ausklammern konnte: Seit Tagen schon begegnen uns sympathische schwarz-weiße Schilder mit Kamera-Bildchen und der Aufschrift „Munum Eftir“, die uns wohl sagen sollen, dass es ab hier und darüber hinaus ganz besonders viel besonders Tolles zu fotografieren geben wird. Während aber erneut eine dieser kläglichen Baustellen – das isländische Straßenbauamt hatte bei der Brennivín-Orgie wohl einige Humpen mitzureden – unsere wilde Fahrt bremst, führt die spontane Konsultation der deutsch-isländischen Übersetzungshilfe zur wenig Vertrauen erweckenden Erkenntnis, dass die kleinen Fotoapparat-Konterfeis viel eher Blitzer-Piktos darstellen und auf eine erhöhte Anzahl an Infrarot- und Starenkästen entlang der Strecke verweisen. Wie oft war ich eigentlich über 90 so auf den letzten 1.500 Kilometern? Und wieso fahren die hier ernsthaft eine hoch dotierte Null-Toleranzpolitik bei Geschwindigkeits-Flüchtigkeitsfehlerchen? Können wir nochmal zu den Kratern zurück, da hab ich mich wohler gefühlt…

Das gefährlich schwankende Nervenkostüm entledigt sich erst seiner Seekrankheits-Erscheinungen, als uns ein rothaariger, grünäugiger Rezeptions-Engel beim Einchecken in Reykjavik in Empfang nimmt – Offenbar liest sie auch gerade Neil Gaimans „American Gods“, welches seit dem Flug leider unberührt einen Dauerposten im sicheren Hafen meines Hartschalen-Gepäcks eingenommen hat. Auf welch mikroskopisch geringe Größe durch scheinbar kosmische Fügung unsere Welt komprimiert werden kann und mir offen zu sagen versucht, ich solle doch einfach hier bleiben. Gut, wird gemacht, Kosmo, lass mich nur noch schnell Din-A5-Hartpapier-Grüße in die alte Welt senden, damit die alle Bescheid wissen. Wie habe ich eigentlich derart viel pseudo-lyrischen Schwachfug auf derart geringem Raum unterbringen können? Sollte es mir zu denken geben, den Inhalt in der Regel wenig bedeutungsschwangerer Postkarten-Poesie auf A4 vorzuschreiben wie Essays aus längst vergangenen Schultagen? Und muss ich dem mitgereisten Gebetsbruder wirklich in die zwielichtigen Nippes-Kaschemmen hinterher gurken, nur weil er seine offensichtlichen Souvenir-Syndikats-Schulden zu begleichen versucht? In Ordnung, Augen zu, kurz rein und schnell… *klopfklopf*… Ja, Hallo, Realität, du auch hier. Ja, diese Starbucks verballhornende „Icelandic Lava Coffee“-Tasse ist tatsächlich witzig und würde sich in der heimischen Küche neben dem echten New Yorker Starbucks-Pott pudelwohl fühlen. Irgendwie ist das mit den Kühlschrankmagneten vielleicht auch eine doofe Idee, warum nicht lieber Kaffeeporzellan sammeln, weil, naja, Kaffee halt… Moment, wollte ich überhaupt zurück?

Reykjavik Innenstadt
Reykjavik, Innenstadt

Penis, Punk, Pastoren-Pomp

Derart existenzielle Fragen müssen jedoch warten, jetzt geht es um Handfestes: Penisse, Penes, Penen, wie auch immer: Schwengel halt! Das „Icelandic Phallological Museum“ sticht tief in die Kerbe zwischen informativem Mehrwert und purem Nonsens, neben amphibischen wie säugetierigen Formaldehyd-Exponanten zwischen Krabben-, Blauwalgröße und der Elefantennummer laden besonders die Zentralmassiv-Nachbildung eines nordischen Trolls und das selbstredend unsichtbare Elfen-Gebimse im Glas zum präpubertären Schmunzeln ein. Überhaupt kann die eigenwillige Atmosphäre aus peinlich-debil grinsenden Gesichtern und unterdrücktem Dauergekicher wohl nur das Stockholmer Vaginamuseum ähnlich effektiv einfangen. Spätestens bei der notariell beglaubigten Schenkungsurkunde eines deutschen Donators, der stolz sein Allerbestes als absolut neuwertig und ungebraucht nach Ableben vermachen wird, gibt es dennoch kein Halten mehr. Die phallisch-grinsenden Kuscheltiere am Ausgang lasse ich aber lieber im Regal stehen, die mittlerweile recht stattliche Sammlung fragwürdiger Katzen- und Penis-Bilder auf meinem Smartphone dürfte für eine temporäre Sicherheitsverwahrung mehr als ausreichen.

Exponante in Formaldehyd
Exponate in Formaldehyd, Icelandic Phallological Museum

Unsere kaum zu verleugnende Ehrfurcht tragen wir bald zu einem gänzlich anderen Meilenstein isländisch-anrüchiger Untergrund-Kultur. Ein blechern geschmücktes und bunt verziertes lokales Urgestein namens Ulf – zumindest weiß ich das von irgendwo – empfängt uns in seinem persönlichen Schrein, der sich voll und ganz der Historie der insularen Punk-Szene widmet. In herrlich ranziger U-Bahn-Kelleridylle samt zentral platziertem Entleerungs-Porzellan zur tatsächlichen Benutzung lernt man, wie Anarchie und „Fuck politics“ den Weg in die vitale Alternativ-Szene Islands gefunden haben, international salonfähig gemacht durch die Teilhabe solch illustrer Gestalten wie Swans, Nick Cave und den Einstürzenden Neubauten. Keine Frage, dass all die Bilder, Platten und kleinen Gimmicks aus Ulfs über Jahrzehnte gepflegter Privatsammlung stammen – die keinen Zweifel daran lässt, in welchem Maße er die Sugarcubes als ersten Moment und Björks Faible für elektronisch Verschwurbeltes als finalen Sargnagel des Untergangs seines geliebten Universums begreift.

Punk Reykjavik
Punk Museum, Reykjavik

Weil es jetzt aber kaum abgründiger und schmutziger werden kann, bleibt uns zwei müden Reisenden nur noch der Weg in die Hallgrimskirkja, womit wir auch gleich wieder beim Thema Phallus sind, also rein von der äußeren Erscheinung, versteht sich. Das expressionistisch-caligarische Auftreten des noch sehr jungen Kirchengebäudes weicht im Innern karger gotischer Schlichtheit, ausgenommen freilich das 5275 Pfeifen starke, stählerne Mad-Max-Orgel-Massaker, welches sich majestätisch vor unseren ungläubigen Pupillen ins Endlose erhebt. Der Dicke von der Wartburg scheint auch hier bekannt zu sein, zumindest weisen 500 aufgehangene Thesen-Zettelchen auf das anstehende Luther-Jubiläum hin. Dabei hätte ich vielmehr pompöse Fresken rund um Odin, Loki, Walhalla und das ganze Met-geschwängerte Fantasy-Gedöns erwartet. Und noch viel weniger erwartet hätte ich aber die einzelne Palme, die faul in einer der Kirchenschiffs-Ecken vor sich hin dümpelt. Okay, Weltklima reloaded, an dem Tropendschungel müssen wir wohl einfach vorbei gefahren sein.

Einen echt isländischen und überraschend kosteneffizienten Senf-und-Remoulade-Hot-Dog nebst Bulgur Salat mit Hummus noch auf dem Rückweg abhakend zieht es uns dann eben doch gezwungenermaßen zurück in die unterkühlte 4-Sterne-Sterilität zum Habe checken und Beerdigen des letzten Viking Light-Bieres. Ja, wir sind durch. Ja, okay, wir sollten wohl doch langsam in die Heimat zurück. Nehmen wir die geschätzt zwei Stunden Schlaf noch mit, um morgen früh – lies: mitten in der Nacht – demgemäß gestärkt die bittersüße Heimreise in Angriff zu nehmen.

Hallgrimskirkja Innen Orgel
Hallgrimskirkja, Mad-Max-Orgel mit 5.275 Pfeifen

2 Gedanken zu „Island Reisebericht – Tag 7 – Penis, Punk, Pastoren-Pomp“

  1. Anscheinend hast du dich aber immer im Rahmen der Geschwindigkeitshöchstgrenze bewegt, sonst wäre doch schon was nachgekommen. Hieß der Punkmuseumswächter tatsächlich Ulf? Muss ich verpasst haben, weil ich so auf Björk fixiert war.
    Und: Eine Alliteration als Überschrift. Wer hätt’s gedacht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert