La La Land – In Concert, 09.01.2017, Arena, Leipzig (Konzertbericht)

Once more, with feeling

Den guten Anzug rausgekramt. Oder das, was davon übrig ist und nicht schmerzlich an Zeiten ausladenderer Körperfülle erinnert. Dazu die besten Schuhe. Also diejenigen Kunstledernen, die sich mittlerweile in ihre mikrobiologischen Einzelteile zersetzen und langsam aber wirklich ihren Dienst quittieren dürfen. Und das bei TK Maxx geschossene Diesel-Hemd, an dem es tatsächlich nichts auszusetzen gibt. Hauptsache Form wahren! Schließlich begibt man sich nicht jeden Tag in die Raum füllenden Arme des Tschechischen Nationalen Symphonieorchesters.

Überhaupt durfte der Schreiberling noch keinem klassischen Konzert beiwohnen. Wobei „klassisch“ in diesem Fall nicht ohne Fußnote zu unterschreiben ist, denn neben der rund um das Dirigentenpult versammelten Streicher-Kompanie gibt es ja auch Chor, Bass- und Akustik-Gitarre, Schlagzeug, Harfe und – ganz wichtig! – Klavier nebst überlebensbreiter Leinwand im Hintergrund. Schon hier wird klar, dass an jenem milden Januar-Abend nicht Dienst nach Vorschrift serviert, sondern einem Schulterschluss aus Klassik und modernem Hollywood-Kino beigewohnt wird.

La La Land - In Concert

Und warum auch nicht? Man muss schon im Atomschutzbunker überwintert haben, um im vergangenen Jahr an dem mit mehreren Oscars (unter anderem für die Musik) ausgezeichneten La La Land vorbei geschrammt zu sein. Außerdem konnten sich wohl nur die Grummeligsten unter den Spaßbremsen nicht auf Damien Chazelles Musical mit Ryan Gosling und Emma Stone in den Hauptrollen einigen. Ein gestandener Name ist La La Land freilich ebenso wenig wie ein Klassiker, eher perfekt durchkomponierte Feel-Good-Unterhaltung mit Herz und Leidenschaft. Ausverkauft ist die Arena Leipzig daher nicht, die recht amtlichen Ticket-Preise haben wohl ihr Übriges getan. Und bis zu Beginn der Show wird wohl einigen noch immer nicht ganz klar gewesen sein, was sie im Laufe der folgenden zweieinhalb Stunden erwarten würde.

Der Atmosphäre sollte das allerdings nicht schaden. Die Lichter gehen aus, immer mehr Musiker betreten schwarz gewandet die Bühne, der renommierte tschechische Dirigent (sowie Komponist, Pianist und Songwriter) Kryštof Marek kommt hinzu: Vorhang auf für eine Inszenierung der besonderen Art, für einen real gewordenen Soundtrack, eine filigran abgestimmte Symbiose aus Filmerlebnis und wuchtigem Orchester.

Dabei beginnt mit der „Ouvertüre“ alles ganz verhalten, Hauptthemen des La La Land-Scores werden zaghaft eingeführt, die Leinwand bleibt schwarz – Bis plötzlich das Cinemascope-Logo die Arena überstrahlt und die meisterliche Highway-Plansequenz anläuft. Und als auch den Letzten dämmert, welchem Konzept diese Vorstellung folgt, ist man schon mitten in „Another day of sun“, welches den La La Land-Reigen fulminant eröffnet. Gezeigt wird der vollständige Kinofilm, zum persönlichen Bedauern (wenn auch verständlich) in der deutschen Synchronisation, lediglich Sänger und Sängerinnen kommen vom „Band“, während jedes Instrument des Musicals von den Künstlern vor Ort zum Leben erweckt wird. Ein visuelles Metronom gibt den Takt vor und es ist beeindruckend, mit welcher Uhrwerk-Präzision die großen Gesten wie auch die leisen Zwischenstücke über die komplette Spieldauer von Orchester, Jazz-Musikern und Chor wiedergegeben werden. Derart präzise, man vergisst als Zuschauer nahezu, dass dort rund hundert erfahrene Männer und Frauen das Gezeigte minutiös und bis ins kleinste Detail live interpretieren.

Und trotzdem – oder gerade deshalb – ist La La Land – In Concert eine einmalige Erfahrung: Während das Ensemble durch die von der Filmhandlung vorgegebene, Jahrzehnte übergreifende Musiklandschaft aus Big-Band-Bombast, Swing, Blues, Jazz, Soul und Pop fegt, fühlt sich alles Dargebotene realer, näher, greifbarer an – wird die magische Essenz der bittersüßen Justin-Hurwitz-Kompositionen auf ein neues Level gehoben. Die Tempo- und Stimmungswechsel aus „Someone in the crowd“ wirken dynamischer, die Planetarium-Sequenz märchenhafter, die schummrige Jazzclub-Atmosphäre von „Herman’s habit“ wird trotz hohem Saal besser eingefangen.

Die Musiker wissen, dass sie nicht mehr Dramatik als nötig den Stücken andichten müssen, um beim Publikum anzukommen. Die Traurigkeit aus Mias von Violinen bestimmtem Audition-Song „The fools who dream“ überträgt sich ebenso umgehend wie Mias und Sebastians Piano-Duett „City of stars“, das melancholische Herzstück des Musicals. Lediglich in dem Streit der zwei Protagonisten, der von dem Mia/Sebastian-Theme auf Vinyl begleitet wird, drängt das Orchester in den Vordergrund, übertönt fast den Dialog, forciert die Eskalation, um dann umso abrupter zu verstummen – ein fantastischer Augenblick.

Schade ist, dass die Bühnen-Aufstellung dem klassischen Symphonieorchester unterliegt, vom Parkett aus lassen sich daher neben Dirigent, Streichern, Drumset, Jazz-Kontrabass und Akustik-Gitarre kaum Instrumente direkt einsehen. Das ist spätestens in dem mitreißenden Epilog bedauerlich, in dem der Film „La La Land“ eine alternative Story-Entwicklung im Schnelldurchlauf und unter allerlei kreativen visuellen Einfällen abhandelt, während sämtliche zuvor eingeführten Themen erneut in einem allumfassenden Medley zur Geltung kommen. Nicht nur der viel beschäftigte Pianist bekommt hier eine seiner besonderen Einlagen, auch die Bläser-Fraktion um Klarinette, Posaune und Free-Jazz-Trompeten-Solo spielt auf, der Schlagzeuger treibt konsequent vorwärts, während die Chorsänger das Finale hymnisch abrunden. Hier hätte man gerne Augen und Kameras überall, um wirklich nichts zu verpassen und sich nochmals zu vergewissern, dass kein Playback vorgeschoben, sondern tatsächlich derart punktgenau agiert wird.

Diese Stärke des Abends birgt damit zugleich seine große Ambivalenz: Denn folgt man lediglich der Leinwand, kann die Leistung des Ensembles geradewegs untergehen. „La La Land – In Concert“ fordert eingeschliffene Seh- und Hörgewohnheiten heraus und tänzelt stellenweise nahe der Reizüberflutung, bleibt aber stets ein gleichsam spannendes wie gelungenes Experiment, vorgetragen von professionellen Akteuren, die wissen, dass sie Gosling und Stone nicht die Show stehlen werden, dass sie nicht das Geschehen an sich reißen müssen, um dennoch zu verzaubern.

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