mother! (Darren Aronofsky) – Review / Film

mother! - Trailer (Official)

mother!

Horror / Groteske

05.09.2017 -- 122 min

R:
Darren Aronofsky

D:
Jennifer Lawrence, Javier Bardem, Ed Harris, Michelle Pfeiffer

Das Alpha und das Omega

Bald hatte sich der anfängliche Applaus in schallende Buhrufe verkehrt, als sich die 122 Minuten von Darren Aronofskys neuestem Werk „mother!“ durch ihre Premiere bei den Filmfestspielen in Venedig gepflügt hatten. Dem Regisseur mag es recht sein, ist er doch bekannt für seine Stiche in die konventionellen Sehgewohnheiten des Publikums und gibt es für ihn nichts Grauenhafteres als ein lediglich anerkennendes Nicken. Der Zuschauer soll eine Reaktion zeigen, positiv wie negativ, aufgerüttelt den Saal verlassen, verarbeiten müssen und diskutieren wollen. Das zumindest hat Aronofsky zweifelsohne erreicht, denn wirklich kalt lassen kann einen seine radikal-allegorische Interpretation der Schöpfungsgeschichte und kompromisslose Sezierung des Zustands der Heimat Erde wahrlich nicht. Es kann der kontroverseste Film des Kinojahres werden, nur sind die teils harschen Reaktionen auch gerechtfertigt? Hat sich der Autorenfilmer hier endgültig verhoben und lässt er Figuren, Handlung und Stringenz zugunsten einer rücksichtslos durchgedrückten Vision fallen, die zum reinen Selbstzweck verkommt? Auch im CinemaScore, der unmittelbaren Befragung der Kinogänger nach Sichtung des Films, ist „mother!“ gnadenlos durchgefallen. Doch kann ein solcher Ersteindruck überhaupt für eine derart metaphorisch überstilisierte Versuchsanordnung herangezogen werden? Ist das nicht zu viel des Wahnsinns, um unmittelbar fassbar zu sein? Mittlerweile nehmen viele Kritiker und Journalisten den Film bedeutend wohlwollender auf, denn „mother!“ braucht Zeit, muss ankommen können, wird klarer und spannender, je größer der Abstand zu ihm ist.

Sie (Jennifer Lawrence) lebt mit Ihm (Javier Bardem), einem ehemals berühmten Poeten, in der Abgeschiedenheit eines viktorianischen Landhauses. Einst war diese Villa, sein Zuhause, niedergebrannt, noch bevor sich die beiden kennenlernten – Jetzt renoviert sie das Haus in mühevoller Kleinarbeit, will einen idyllischen Garten Eden erschaffen, ein Liebesbeweis an ihren einige Jahre älteren Ehemann. Doch er ist abwesend, hadert mit einer Schreibblockade, sodass auch ihr lange gehegter Kinderwunsch ebenso unartikuliert wie unerfüllt bleibt. Als eines Abends ein Fremder (Ed Harris) in der Tür steht und sich als Arzt ausgibt, sieht sie die Intimität ihres wohl behüteten, für sich und ihren Liebsten erschaffenen Nestes in Gefahr, mit dem sie ihn auch stets für sich zu vereinnahmen sucht. Denn der vermeintliche Arzt entpuppt sich als großer Fan des Dichters, im Sterben liegend und mit dem Wunsch, sein Idol noch ein letztes Mal zu treffen. Er, von der ihm zuteil werdenden Aufmerksamkeit beflügelt, lässt den Fremden bleiben, nimmt auch dessen bald auftauchende Gattin (Michelle Pfeiffer), eine schroff-zynische Furie, genüsslich bei sich auf. Er ist benebelt von dem Leben, welches in die Wände des Gemäuers Einzug hält und sich nur um ihn dreht. Selbst als die beiden Söhne des besitzergreifenden Pärchens hinzu kommen und deren Streit in großem Unglück eskaliert, lässt er nicht ab – Sie hingegen, die Vernachlässigte und Ungehörte, wird bald von Visionen geplagt und Halluzinationen gequält, sieht die Wände ihres Paradieses bluten, den kämpfenden Herzschlag des Hauses allmählich verenden. Doch werden es nicht die letzten „Gäste“ bleiben: Und während er sich zusehends an seinem urwüchsigen Geltungsbedürfnis berauscht, beginnt für sie erst ihr Martyrium…

“You give, and you give, and you give. It’s just never enough.” – Die Fremde

Was hier in einer einzigen langen Exposition als bedrückender Home-Invasion-Thriller beginnt und über Anleihen an „Rosemary’s Baby“ psychologisch-groteskere Züge annimmt, lässt Darren Aronofsky in einer nicht enden wollenden Fegefeuer-Ekstase kulminieren, für die man als Zuschauer unmittelbar kaum adäquate Worte findet. Dabei geht es nicht alleinig um die Intensität des Gezeigten – Der zumindest in seinem biblisch-apokalyptischen Unterbau ähnlich gelagerte „Antichrist“ von Lars von Trier hat die Grenzen des Erträglichen bereits weitgehend ausgelotet. Doch während es bei dem Dänen noch geradezu „leicht“ fiel, sich seiner nihilistischen Erlösungsdystopie als kathartischem Bilderrausch hinzugeben, hebt Aronofsky sein „mother!“ zur allumfassenden Erzählung von Erschaffung und Vernichtung der Welt herauf.

!!! Der folgende Absatz enthält kleinere Spoiler, die die Handlung zwar nicht beschreiben, aber als interpretative Deutungsversuche Aspekte der zweiten Filmhälfte anschneiden !!!

Kain, der den Abel erschlägt, Adam und Evas Sündenfall, die Unausweichlichkeit der Apokalypse und der Poet als Allvater, als Erschaffer und Erneuerer einer ewig wiederkehrenden Genesis – und zuletzt seine Muse, der Hort seiner Kreativität, die sich bis zur Selbstaufgabe opfert. Als hätte der Regisseur sein Werk damit nicht schon zur Genüge mit religiösen Motiven überfrachtet, dienen sie doch letztlich nur als stilistische Brücke, um in interpretativer Offenheit den Zustand der Welt als Lebensraum und die Rolle des Menschen darin als alles verschlingender Parasit zu skizzieren.

!!! Spoilerwarnung Ende !!!

Neben all dem religiösen und ökologischen Symbolgehalt beschreibt der Film dann aber auch die Folgen und Verlockungen des Star-Ruhms, das zerstörerische Moment animalischen Narzissmus – und, in seiner einfachsten Lesart, das psychologische Beziehungsgeflecht zwischen Mann und Frau aus Behüten, Ausbrechen und Aufopferung. Viel zu viel starker Tobak für einen einzigen Film, um seine Elemente stimmig zu Ende zu denken – und ein harter Schlag gegen jeden Versuch, dem thematischen Überschwang kognitiv und sinnstiftend Herr zu werden.

„Nothing is ever enough. I couldn’t create if it was.” – Er

Dass Aronofskys wilde Haken schlagender Albtraum überhaupt einen Zugang ermöglicht, liegt wesentlich an Jennifer Lawrence als identifikatorischem Kern von „mother!“. Matthew Libatiques ständig in Bewegung befindliche, virtuose Handkamera kreist permanent um seine mal passiv, mal liebevoll, dann verzweifelt agierende und schließlich unerbittlich leidende Schauspielerin, die hier die vielleicht intensivste Darbietung ihrer Karriere liefert. Ed Harris als verschroben-bedrohlicher Unbekannter und Michelle Pfeiffer als obszöner Giftdrachen mögen dem Affen Zucker und ihren Figuren einen bitter-komischen Touch verleihen; Javier Bardem mag noch als Stichwortgeber sein unnachahmliches Charisma versprühen; Lawrence aber ist das emotionale Herz. Insofern „Emotion“ hier überhaupt greift, denn während die anderen Darsteller dem Symbolgehalt ihrer Charaktere satirisch überspitzt freien Lauf lassen können, ist „Sie“ lediglich Schablone, eine leere Hülle, in die Aronofsky seine gratwandernde Allegorie bettet. Da verwundert es kaum, dass der achteckige abstrakte Raum des Anwesens selbst das Lebendigste an dem Film darstellt, ein pulsierender, allmählich unter der Last der Raserei ausblutender Organismus, in seiner panoptischen Gestalt sowohl Beobachter als auch ungeschützter Leidtragender des Untergangs.

Und dennoch schafft es „mother!“, trotz seiner bei aller visuellen Klasse inhaltlichen Unfertigkeit und emotionalen Distanz eine vereinnahmende Faszination zu entwickeln. Der anfängliche Ärger über die teils arg holprige Erzählweise, die unbestimmte Metaphorik und all die losen Enden schwindet, wenn man Aronofksys Werk als sinnliche Erfahrung begreift, als flimmernde Momentaufnahme des Zustands unseres Planeten und all seiner darin existierenden Figuren zwischen Selbstzweifeln, Idolkult, zügelloser Barbarei und religiöser Heilandssehnsucht – Als einen wilden Ritt, der keine inhaltlichen Ketten sprengen muss, um in seiner inszenatorischen Konsequenz einzigartig zu sein. Ein Erlebnis, welches sich kaum in Lieben oder Hassen ordnen lässt und jeder einfachen Wertung entzieht.

Bewertung n.b.

2 Gedanken zu „mother! (Darren Aronofsky) – Review / Film“

  1. Hab ihn gerade gesehen und bin extremst verwirrt. Wie Aranofsky mit einem Wimpernschlag das komplette Konstrukt einer Narration für die zügellose Bilderorgie aufgibt, ist auf eine Art berauschend und auf andere Art kopfschüttelnd unfassbar.
    Und was die werte Ms. Lawrence da abliefert, sprengt ja wohl so ziemlich jede Schauspielkunst. Diese Performance ist wahrscheinlich ihr Meisterwerk. Da kann eigentlich nichts besseres mehr kommen. Kunst in Vollendung, in brachialer Wucht.

    1. Hach ja, J-Law. Ohne ihre Präsenz würde das filmische Konstrukt mehr zusammen brechen als von Aronofsky gewollt. Und wie der mit diebischer Freude auf konventionelle Mystery-Bahnen lenkt, um jegliche Erwartungen zu pulverisieren, das kann man schon Mal als Selbstbeweihräucherung abstempeln. M.M.n. kommt die Katharsis aber erst nach ein paar Tagen, weil es bei „mother!“ nie um eine Narration an sich geht. Bin gespannt, wenn sich der Film bei dir ein paar Tage setzt – und gespannt, was du am Samstag dazu zu sagen hast 😉

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