Final Fantasy XV Tagebuch 02 –
Boyband on tour
Flammen. Explosionen. Ein Thronsaal in Schutt und Asche. Und vier junge Typen in schwarzen Lederklamotten, die von Deckung zu Deckung hetzen und scheinbar bald ihrem Schöpfer gegenüber treten. Schnitt: Der junge Prinz Noctis wird von seinem alternden Vater König Regis aus Insomnia, der Hauptstadt des lucianischen Königreiches, nach Altissia gesandt, um dort seine Kindheitsfreundin Lunafreya zu ehelichen. Die royale Linie von Lucis ist in der Lage, sein Volk mit einem magischen Wall vor den ständigen Angriffen des Niflheim-Imperiums zu schützen, doch Regis ist schwach, ein Friedensangebot soll Ruhe bringen. Und auch die Heirat zwischen Noctis und Lunafreya nimmt seinen Platz in diesem politischen Strategiespiel ein.
Soweit die etwa fünfminütige Exposition, die einen schon überfordern kann, hat man den dazugehörigen Anime Kingsglaive zur Einordnung der Figuren und Kräfteverhältnisse auf dem Planeten Eos nicht gesehen. Dennoch macht die Einleitung neugierig und wirft den Spieler derart mitreißend und unvermittelt in das Geschehen, wie man es bei Final Fantasy seit Ewigkeiten nicht erlebt hat. Besonders da im nächsten Moment die Geschwindigkeit völlig rausgenommen wird und die vier Jungs erstmal mit ihrem protzigen Gefährt – der an einen Audi A8 erinnernde Regalia – nach Motorpanne mitten im Outback versanden. Und diese ach so hyperstylishe Boyband rund um Prinz Noctis, seinen grummeligen Bodyguard Gladiolos, den quirligen Prompto aus einfachen Verhältnissen und den belesenen und gewissenhaften Ignis – Die streiten gleich wie die schlimmsten Waschweiber und man kann nicht anders, als sie vom ersten Moment an grundsympathisch zu finden. Auch wenn Mädels in der Gruppe noch schmerzlich vermisst werden, ist Squares Experiment für den Anfang geglückt.
Und da schieben sie los, die vier Hartgesottenen, und Final Fantasy XV spielt seine ersten atmosphärischen Trümpfe aus. Die an den amerikanischen Westen erinnernde Kulisse ist für die Serie ungewöhnlich, aber bildhübsch und weckt umgehend den Entdeckerdrang. Und wenn dazu Florence and the Machine zu einer noch fragileren Version von Ben E. Kings Stand by me anstimmt, dann kommen die wohlig melancholischen Sehnsüchte, dann hat man sich das erste Mal in dieses noch gar nicht begonnene Abenteuer verliebt. Natürlich ist das alles wenig japanisch und schielt mit beiden Augen klar in Richtung westlichen Mainstream – dazu hätte es die aufreizende Autoschrauber-Enkelin mit ihrem Südstaaten-Akzent im Hammerhead Outpost gar nicht mehr gebraucht. Das typische Final-Fantasy-Flair entsteht dennoch im Zusammenspiel der doch recht Klischee-beladenen Hauptfiguren und der exaltierten Gestik der Protagonisten untereinander.
Sobald es dann zur ersten kleinen Nebenaufgabe in die große Wüste geht, kommt auch das zweite FF-Hausrezept zum Tragen: Die Kämpfe überfordern! Spätestens seit Final Fantasy XII, als alles schneller und actionreicher werden sollte, weiß man schnell nicht mehr, wo einem Kopf und Kamera stehen. Es ist üblich für die Serie, dass sie mit jedem Teil die Kampfmechanik komplett auf links drehen – Das weckt jedes Mal Interesse, kostet aber auch Zeit und Mühe in der Findungsphase. Zumindest ist der Einstieg behutsam und recht einfach gestaltet, damit kein Frust entsteht. Und häppchenweise wird man in geskripteten Scharmützeln und optionalen Jagdaufträgen an die Spielelemente herangeführt, sodass das eigentlich simple System seine ganze spaßige Dynamik entfalten kann.
Apropos Jagdaufträge: Einen weiteren Final-Fantasy-Klotz wird auch der neue Ableger nicht los – Nebenquests erreichen selten höheres Niveau als Hol- und Bringdienste oder das Erlegen bestimmter Monster. Das kann zu späterer Spielstunde zum Problem werden, für den Moment jedoch weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. In alle Himmelsrichtungen kann man endlos weit laufen, Items finden, Ortschaften und die ersten Dungeons entdecken – und dabei ist man noch im Startgebiet. Man kann in Diners flippern, angeln gehen und Rezepte für Ignis‘ Kochkünste sammeln, die beim Zelten in der Wüste temporäre Buffs für die Party verleihen. Um diese Refugien herum zieht man Feuer-, Eis- und Blitzmagie, die sich in flächendeckend verheerende Zauber ummünzen lassen. Man geht Waffen und Heilmittel shoppen, kann sich Promptos Tages-Snapshots ansehen und verewigen, bei den Jägern im Rang steigen und an seinem Regalia herumschrauben lassen. Schade, dass man zu diesem Zeitpunkt nur an vorgesehenen Stellen selber steuern kann, auch wenn sich das Handling des Autos zur Geduldsprobe entwickeln soll.
Mittlerweile habe ich mich in die ersten überraschend creepigen Katakomben vorgewagt, in denen ich noch lange nichts zu suchen habe und mich von Level-60-Gegnern sekundenschnell fachgerecht zusammenfalten lassen, denn abseits von gesperrten Straßen in angrenzende Gebiete kann man schon jetzt überall hin. Ich habe am eigenen Leib erfahren, warum sich kein Mensch nach Einbruch der Nacht vor die Tür traut, denn dann kriechen die gefährlichen Siecher aus der Dunkelheit und machen dämonische Eisengiganten Kleinholz aus meiner kleinen Chaos-Crew. Lieber lasse ich mich unter Sonnenschein in unserem Boliden durch die Gegend chauffieren und genieße den Soundtrack von Final Fantasy VII aus den Boxen beim gepflegten Nichtstun. Ich atme Inselflair an einer Strandbar, lasse die Gruppe bei Chili con Carne und Karten spielen entspannen – und vergesse schnell, dass es hier ja auch eine Hauptstory gibt, denn so ein bisschen mutet Final Fantasy XV an wie schon längst überfälliger Urlaub.
Der Ernst der Situation wird mir schlagartig um die Ohren gehauen, als ich nach Altissia übersetzen will: Denn zeitgleich greifen bei der Unterzeichnung des Friedensdekrets die Imperialen Niflheims das Königreich Lucis an, legen Insomnia in Schutt und Asche und töten König Regis – die Bevölkerung scheint dem Untergang geweiht. Noctis und seine Begleiter rasen in Richtung der Metropole, um sich von der Wahrheit zu überzeugen, die quer durch Radio und Zeitungen verkündet wird – und stehen einem brennenden Schlachtfeld gegenüber, dem die Wenigsten entkommen sein dürften. Lunafreya, Noctis‘ zukünftige Angetraute, das Orakel aus Altissia, scheint ebenfalls den Aggressoren zum Opfer gefallen sein, der junge Prinz Noctis ist am Boden zerstört. Doch dann meldet sich der General der königlichen Armee, Cor Leonis, zu Wort. Ihn aufzusuchen ist das nächste Ziel, die schönen kleinen Beschäftigungen am Rande liegen vorerst auf Eis, der Urlaub ist offiziell vorbei…