Wirbellose Kleinflügler, schleimige Schweinehunde, spanische Kampfstiere, ukrainische Waldoger und ein irischer Affenkäfig inmitten der Saale-Stadt. Und das alles ohne durch die Wildnis waten zu müssen. Schließlich liegen Tierreich und Zweifüßer-Habitat oft gar nicht so weit auseinander. Das kann urig und charmant sein, aber auch kopfschüttelnd albern bis verachtenswert widerwärtig. Und wenn beide Welten aufeinander prallen und voneinander abhängig sind, gewinnt niemand mehr.
Von Tieren und Menschen
Autofahrer, aufgepasst! Bringen Sie ihre Scheibenwischer in Parkstellung, solange prasselnder Regen nichts anderes verlangt. Die Chancen sind mittlerweile mikroskopisch gering, dass ihre vierrädrige Comfort Zone durch heranklatschende Kleintiere unschöne Makulaturen davon trägt. Bedanken dürfen Sie sich herzlich bei dem groß-industriellen Landwirtschafter ihres Vertrauens. Das zumindest wissen Krefelder Forscher, die in einer 27-jährigen Langzeitstudie mit Insektenfallen und Biomasse-Abwiegen den alarmierenden Befund eines um 75% gesunkenen Wirbellosen-Bestands in deutschen Naturschutzgebieten zu konstatieren hatten. Intensivierte Agrarnutzung mit Stickstoff und Pestiziden sieht das Entomologen-Team als Hauptursache für den rapiden Rückgang einer ganzen Artenvielfalt. Das betrifft auch Pflanzen, die unter den Giftstoffen zu Grunde gehen, wild wuchernden Stickstoff-resistenten Exemplaren Platz machen und damit den Insekten ihre Lebensgrundlage entziehen.
Was diese Entwicklung auf lange Sicht bedeutet ist noch kaum fassbar. Sicher ist, dass Vögel, Igel, Mäuse als Erstes unter dem Insektensterben leiden werden, verlieren sie doch so ebenfalls ihre Futterquellen. Danach folgen die Nächsthöheren in der Nahrungskette, ein irreversibler Kreislauf, dem das schwächelnde Ökosystem wenig entgegen setzen kann. Wenn es überhaupt noch so lange dauert, Pestizide und Insektizide mindern schließlich seit langer Zeit bereits Fruchtbarkeit und Lebensspanne der Bienenpopulation. „Wenn die Biene stirbt, stirbt der Mensch“, hat Einstein ähnlich orakelt. Ohne Bestäuben kein Wachstum, keine Ernte, kein Obst, kein Gemüse, keine Ernährung. Eine leere Welt, die wir für unsere Folgegenerationen mit ihren drei Zweitwagen und ihrer Mono-Synthetik-Kultur zu hinterlassen scheinen. Wobei sicher schon die Ersten ihre Chemie-Baukästen geöffnet haben und für unser aller Überleben nach dem Effizienz-optimierten Masterplan suchen. Wir haben ja Zeit.
Harveys neue Schweinereien
Andere Gattungen scheinen dafür nie auszusterben, beispielsweise die der chauvinistischen Sexisten-Arschgeigen. Das Gruseligste ist dabei nicht einmal, dass da dieser eine Filmproduzent ist, der über Jahrzehnte Position und Einfluss in schäbigster Weise zu sexueller Nötigung und Schlimmerem missbraucht hat. Natürlich steht er im Fokus, Medien lieben persönliche Geschichten. Aber er ist eben auch Symptom und Eisbergspitze einer verkrusteten Show-Branche, die in ihrer Außendarstellung so gerne die Fahne der Diversität und Gleichberechtigung hoch hält, im Innern aber geprägt ist von repressiven Machtspielen, von Herrschen und Besitzen. Dass Leute wie Quentin Tarantino und Robert Rodriguez jetzt kund tun, so einiges über Harvey Weinsteins Auswüchse gewusst, aber nicht gehandelt zu haben, macht das Bild einer apathischen Mauer des Schweigens nur noch schlimmer.
Freilich kocht die Berichterstattung jetzt hoch, die allgemeine Sexismus-Debatte überschlägt sich und springt im Dreieck. Zeit Online hat zuletzt gefragt, ob es schon sexistisch sei, einer Frau die Tür aufzuhalten… Genau diese unsachlichen Hyperreaktionen sind aber der Grund, dass die Diskussion bald wieder abflauen wird, weil es nie lange bei einer bedacht-nüchternen Artikulation bleibt. Im konkreten Fall könnte man z.B. damit anfangen, Filme zu boykottieren, auf denen „The Weinstein Company“ oder „Miramax“ stehen. Denn dass es unter Filmschaffenden, Produzenten, Staff, Agenten etc. weit reichend Mitwisser oder gar Helfer für Weinsteins Praktiken gab, scheint mittlerweile offenkundig. Ein Appell ist das nicht, jeder soll mit dem Thema nach eigenem Gusto umgehen, der Autor dieser Zeilen zumindest sieht für sich keine andere Alternative.
Toro!
Aber zumindest haben wir die Wahl. Andere wählen auch, wollen bestimmen, sich mit demokratischen Mitteln ehrlich Gehör verschaffen – und werden sogleich dieser Mittel beraubt. Das katalanische Regionalparlament hat in geheimer Abstimmung für eine Abspaltung von Spanien votiert. Keine halbe Stunde später billigt der spanische Senat in Madrid unter Ministerpräsident Mariano Rajoy die Entmachtung der Regionalregierung Kataloniens und die Durchsetzung von Zwangsmaßnahmen. Die weitere Eskalation im Rahmen der Unabhängigkeitsbestrebungen scheint damit vorprogrammiert. Dennoch ruft der katalanische Noch-Regierungschef Carles Puigdemont die Katalanen zu Besonnenheit und friedlichem Protest auf, während Rajoy auf die Wiederherstellung von Rechtmäßigkeit in der abtrünnigen Region pocht.
Wo die EU-Polizei Deutschland in dieser Streitfrage steht hat Regierungssprecher Seibert in Berlin sogleich geregelt und als direktes Sprachrohr der Kanzlerin ihren Standpunkt unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Die Souveränität und territoriale Integrität Spaniens seien unverletzlich, eine einseitig ausgerufene Unabhängigkeit verletze diese geschützten Prinzipien – ein Verfassungsbruch, den die Bundesregierung nicht anerkennen werde. Es ist der ungefilterte Sprachduktus der spanischen Zentralregierung und Indiz für die Angst eines weiteren Auseinanderbrechens des europäischen Zusammenhalts. Die wirtschaftlichen Zwänge Spaniens sind seit Jahren bekannt, das Aufbegehren von Teilen der Bevölkerung verständlich – aber zuerst muss die Form gewahrt werden.
Here come the Robots
Vor ein paar Jahren gab es eine ähnliche, bis heute nicht gänzlich aufgelöste Situation, wenn auch in bedeutend schmerzhafterem Ausmaß. Pro-russische Separatisten wollen die Abspaltung der Krim und Annexion an Russland, ihre pro-westlichen Landsmänner und -frauen stemmen sich, gestützt von EU und USA, militärisch dagegen. Dem Bereich der Kunstschaffenden hat diese angespannte Situation auch zu schaffen gemacht. So hatte sich der Schreiberling beim 2015er „Stoned from the Underground“-Festival bei Erfurt riesig auf „Stoned Jesus“ als einen der spannendsten Stoner-Rock-Exporte Osteuropas gefreut, bis diese höchst kurzfristig aufgrund Visumsverweigerung absagen mussten. Am Mittwoch hat glücklicherweise das Werk 2 zum Nachholen der kleinen Festival-Enttäuschung geladen, ein Wochentag, mit Frühschicht, wenig Schlaf und noch weniger Elan. Glücklicherweise bringen die gerade auf der Durchreise befindlichen französischen Instrumental-Rocker von „Lost in Kiev“ das Stimmungsbarometer schnell auf Betriebstemperatur, bevor die Headliner die Halle dann in einen siedenden Hexenkessel aus langsamen Stoner-Brechern und räudig-schnellem Schweinerock verwandeln. Vielleicht nicht das denkwürdigste Konzert des bisherigen Jahres, aber eine der positivsten und Schweiß-treibendsten Überraschungen. Дякую вам дуже, Stoned Jesus.
Sláinte
Jetzt lässt sich auf einem Bein aber bekanntlich schlecht stehen, also auf zu Musik zum Zweiten, verbunden mit Geburtstag, verbunden mit Pub. Die heilige Dreifaltigkeit. Der Autor macht in der Regel kein Geheimnis daraus, dass er Halle (Saale) nicht viel Positives abringen kann, trotz oder gerade wegen neun quälend langen Studienjahren. Nach Peißnitz, Steintor, Oper, Landesmuseum und Programm-Kinos findet sich aber eben kaum noch Nennenswertes auf der Haben-Seite der Pro-Contra-Liste. Zum Glück gibt es noch den „Irish Fiddler“. Kein Leipziger Lokal wird jemals mit diesem Hort rustikaler Gemütlichkeit und familiärer Heiterkeit konkurrieren können, der in den ganzen Jahren nichts von seinem freundlich-launigen Charme eingebüßt hat. Neben traditionellem Irish Folk der „Greenhorns“ und dem üblichen Tanzen auf den Tischen wird schnell wieder bewusst, dass der Fiddler das Epizentrum der nettesten Menschen Halles ist, ein Ort ausgelassener Schwester- und Brüderlichkeit und grundsätzlich guter Laune. Schön, dass man wieder einmal Teil dieser einzigartigen Atmosphäre sein und für ein paar Stunden all die Weinsteins, Rajoys, Merkels und den Zusammenbruch unseres ökologischen Gefüges vergessen konnte.