Der Schreibtisch 11/2018 (In eigener Sache): Musiknacht Wolfen – Ein Abgesang

Aus Liebe zur Tradition

Traditionen soll man pflegen. Das ist ebenso viel- wie nichtssagend. Spülen beispielsweise ist eine ganz tolle Tradition. Oder Zähne putzen, auch wenn mir das die nächstbeste Veganer-Kommunen-Mutti wohl wieder streitig machen würde. Tradition ist mittlerweile auch, dass die Kolumne jede Woche kommt und dass ich um bestimmte dämlich breit getretene Themen und haargezogene Spekulationen einen weiten Bogen mache: So werde ich mich sicher nicht zu dem peinlichen Echo-Kollegah-Farid-Theater äußern, ist ja auch viel zu egal. Machen eh alle anderen schon – Und wenn jetzt noch Peter Maffay seinen Befindlichkeits-Senf dazu gibt, sind sowieso Hopfen und Malz verloren. Und der Angriff auf Syrien, der ist ohne Untersuchungsausschuss zu den Giftgasvorwürfen nach wie vor ein zu brennend heißes Eisen, als dass man sich dazu selbstbewusst positionieren könnte.

Tradition war auch lange der jährliche Besuch der Wolfener Kneipennacht, später Bitterfeld-Wolfener Kneipennacht, dann schließlich Wolfener Musiknacht – Die Kombination aus Bier, netten Menschen, guter Musik und etwas mehr Leben in der Provinz schlicht unschlagbar. Und schließlich war der Wolfener Jugendtreff Roxy e.V., mein zweites Zuhause, stets mit von der Partie und spätabendliche Anlaufstelle für alle, die ihre Lichter nicht schon parallel zu den meisten anderen Spielorten ausknipsen wollten. Noch vor dem Umzug nach Leipzig hatte ich mich allerdings weitestgehend aus der Veranstaltung ausgeklinkt: Die Stimmung in der alten Heimat kippte merklich zum Schlechten und nach der Landtagswahl mit dem gruseligen AfD-Ergebnis hatte ich endgültig keine Lust mehr auf rechtsnationale Vollpfosten und ihr plärrendes Gepöbel.

Doch jetzt vergeht die große Zeit des Roxy, der über so viele Jahre so viele liebe Menschen zusammen gebracht, Bands aus der Taufe gehoben und unzählige Anekdoten zum Nacherzählen kreiert hat. Ende 2018 soll Schluss sein und das ist dann auch in Ordnung. Aber eben sicher auch die letzte Chance, dass er Teil der Musiknacht ist. Und dabei nicht nur alte Bekannte aus allen Teilen der Republik wieder zusammen bringt, sondern auch Anwohner und Urgesteine anzieht, die sich sonst selten in die finstere Prärie des Wolfen-Nord-Outbacks verirren. …So zumindest die Vorstellung, also alle fünf Sachen gesammelt, die bessere Hälfte mit eingepackt: Nostalgia, Go!

Musiknacht Wolfen – Wer nichts erwartet, wird auch nicht enttäuscht

Musiknacht

Noch beginnt der Abend wie erwartet und damit im grünen Bereich: Spaziergang durch Wolfen-Nord, wo einem viele Autos und keine Fußgänger begegnen. Ein kurzer Plausch beim Warten auf den Bus mit Ortsansässigen, die man allesamt irgendwie schon irgendwo mal gesehen hat. Der klapprig unbequeme Vetter Bus, bei dem die hintere Tür nicht funktioniert. Die ersten am Bahnhofsgebäude Wolfen eintrudelnden Menschen mit der ersten Coverband des Abends. So weit, so konsequent.

Dass jedoch – zumindest dem Anschein nach – ausschließlich Cover-Gruppen aufspielen, ist traurig – und war schon einmal anders. Wahrscheinlich braucht es mittlerweile den kleinsten gemeinsamen Nenner. Dass die Pendelbusse nur noch alle halbe Stunde fahren, demgemäß zum Bersten voll sind und bei einem von den zwei(!) Bussen nur eine Tür funktioniert, ist dann schon peinlich. Und man merkt schnell, was Platzhirsch Vetter Bus seit Neuerem qualitativ zu dieser Veranstaltung beizutragen gedenkt.

Apropos Pendelbusse: Pendel haben viele Jahre das Kulturhaus Wolfen bespielt – auch eine Cover-Kombo, klar, aber eine verdammt gute (Auch wenn man den privaten Aussagen einiger Bandmitglieder lieber nicht unnötig Gehör schenkt). Heute oxidieren sie irgendwo im Publikum herum, während die nächstbesten Metallica-Epigonen auf der Bühne nicht mit zwei Mikros klar kommen (Warum haben die überhaupt zwei davon?) und auch sonst eher scheiße sind. Zum Glück entschädigen die Johnny-Cash-Nachahmer Duo Thing im Krondorfer „Phönix“ ein wenig.

Musiknacht Wolfen – Der tiefe Fall

Musiknacht

Dann wird es hässlich: Richtung Wolfen-Nord machen sich die ersten Maximalspaten lauthals bemerkbar, als sie den Aushilfs-ÖPNV mit widerwärtigen Zigeuner-Rufen zugröhlen. Auf einmal will man nur noch nach Hause. Aber klar, der „Al Capone“ ist ja auch wieder dabei, dieser halbseidene Schuppen, mit der Onkelz-Band. Andere schmerbäuchige Mittfünfziger meinen, die Süße beim Aussteigen aus dem Bus rücksichtslos in das Gestänge zu drücken und ich will dem Penner heute noch die Fresse polieren. Im Frauenzentrum Wolfen-Nord ist die Stimmung dann zwar ganz angenehm, aber der Willi von Willi and the Old Man scheint stimmlich nicht auf der Höhe zu sein und überlässt hauptsächlich seinem älteren Kompagnon das Feld. Schade!

Dann die Krönung: Ewiges Warten auf den Bus – den einen von den Zweien – der partout nicht kommen will. Nicht nur, dass die Karren nicht reibungslos funktionieren, dazu die ältesten Klappermühlen aus dem Fuhrpark sind, jetzt bleiben sie auch noch irgendwo liegen. Schönen Dank für den Fußmarsch durch die Plattenhölle, um doch noch zum Roxy zu kommen. Hier gab es dann aber auch schon höheren Wiedererkennungsfaktor, nicht viele aus der alten Garde nehmen noch den Gang ins Nirgendwo auf sich – und die allgemeine Stimmung war auch schon wesentlich gehobener. Zum Ausklingen taugt es hier, aber wirklich Durst verspürt man nicht – eher den Wunsch nach den eigenen vier Wänden. Und das ist das Schlimmste, was man so einer Wolfener Kneipennacht – Ja, es wird immer Kneipennacht bleiben! – attestieren kann.

Vor ein paar Jahren hatte die ganze Geschichte noch mehr von einem Happening, bei dem Leute feiern und Spaß haben wollten. Da haben auch einige über die Stränge geschlagen, hier und da gab es Stress, aber es war immer noch etwas Besonderes. Heute feiert niemand mehr: Viele sitzen mit mieser Laune und Billigbier in der Hand in irgendeiner Ecke, kaum einer will mit anderen ins Gespräch kommen, wieder anderes Gesocks dünstet seinen rassistischen Auswurf ins Ozon, die Bands werden langweiliger, die Organisation stümperhafter. Aus Liebe zum Roxy kann – und soll – man die Reise gerne auf sich nehmen. Aber Positives, im Gedächtnis bleibende Dinge, sind dünn gesät. Die Musiknacht Wolfen 2018 ist Symptom einer sterbenden Stadt, einer Region aus Abgehängten, Resignierten. Und auch wenn mein Herz blutet, denn es ist immer noch meine Heimat: Macht’s gut, Leute! Ich bin dann mal endgültig weg!

2 Gedanken zu „Der Schreibtisch 11/2018 (In eigener Sache): Musiknacht Wolfen – Ein Abgesang“

  1. Weiß nicht so recht was ich da noch kommentieren soll, echt beschämend und traurig was aus Bitterfeld, Wolfen und WoNo geworden ist, nicht nur bezogen auf die Kneipen-, Musik-, was auch immer Nacht. Das wichtigste ist das ihr Beide am Ende noch gut zu Hause angekommen seid.
    Ich hab meine „Tradition“ in Bezug auf diese Veranstaltung im übrigen auch eingehalten, und zwar sie zu meiden 😉
    liebe Grüße

    1. Ach, viele Jahre hat das schon wirklich Spaß gemacht. Nur, auch wenn man die paar Pfosten ignoriert, ändert das leider nichts daran, wie die ganze Veranstaltung abflacht und damit symptomatisch für das ganze Drumherum steht. Sehr schade 🙁

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