Der Schreibtisch 19/2018: OK Google: Suche „1984“

Jeder kennt das: Man kommt gerade aus dem Urlaub und hat viel zu viele stümperhafte Wackelbilder mitgebracht. Oder man ist einer von der Sorte Klappstuhl, die beim Konzert das Handy zückt und unter miesem Bild und stumpfem Sound wackelige Gig-Mitschnitte zum engagierten Youtube-Teilen einsacken muss. Oder man ist gleich richtig Nullnummer, die auch dann noch die Wackelaufnahmen-Karte spielt, wenn es gerade einen Unfall gab und man selbst nicht beteiligt ist und man sieht das ja nicht alle Tage. Oder der begrenzte SD-Speicherplatz steht auf allgemein wackeligen Knien. Hauptsache es wackelt.

Dann stöbert man durch die Untiefen seines mobilen Betriebssystems und löscht doch nur wieder Teile der so leidenschaftlich festgehaltenen Edelmomente, weil sich das eigentliche Gerümpel auf herkömmlichem Wege ja nicht wegrationalisieren lässt. Man nutzt eben Android, d.h. Google News, Google Notizen, Play Bücher / Filme / Musik / Spiele und der ganze unnütze Rest. Während man sich beim Handyhersteller noch über jede obsolete Firmware massiv impulsiviert, nimmt man den süßen kleinen Datenkraken schon kaum noch wahr. Ist ja alles kostenlos. Und vor allem umsonst! Und außerdem: Die wollen doch nichts Böses. Schau mal, die haben sogar Rutschen in Silicon Valley…

…Wir lieben den Großen Bruder

Menschen in Badelatschen, Kräutergärten, ein Bälleparadies. Der altruistisch-philanthropöseste Arbeitgeber der großen weiten Welt ist ja immer so ein bisschen der liebe Onkel, der einem heimlich Bonbons und Geld zusteckt und nichts dafür als Gegenleistung erwartet. Oder eher doch der große Bruder, der gerne so freundlich und „Blut ist dicker als Wasser“ tut, um einen dann nur umso fieser grinsend in die Scheiße zu reiten? Da gab’s mal ein Buch von so ‘nem Typen, George Orlando hieß der, war auch so ‘ne Familienkiste, kam 1984 raus… aber das nur am Rand.

Google ist sogar so ein Spitzenverein, dass sie ein treibender Faktor auf dem Weg zur DSGVO-Durchsetzung waren, alles im Namen des Datenschutzes natürlich. Und es haben ja auch alle davon profitiert. Und Google ist noch viel toller, weil Google jetzt aus reiner Selbstlosigkeit der EU läppische 4,3 Milliarden Dollar überreicht – Man hilft ja, wo man kann. Hatte irgendwas mit Android zu tun und mit Marktbeherrschung und Wettbewerb und so weiter. Aber wer wird denn gleich nachhaken wollen?

Richtig: Niemand! Weil einfach einfach einfach ist. Mit Google Maps und Standorterkennung durch den realen Raum, ohne anzuecken. Mit der unauffälligen Suchmaske als Startbildschirm, um im verworrenen Internetz nie den Durchblick zu verlieren. Ein Schelm, wer meint, die Spracherkennung wird nur zufällig mit „OK“ eingeleitet… Meta-Analysen, Songlyrics, Buchvorschläge, App Store, Jobangebote, SEO-Optimierung, Snowdens Datenverbindungen, Statistiken über Statistiken. Und alles, ohne auch nur eine seiner geschätzt zwei Arschbacken überhaupt in Wallung bringen zu müssen.

Für lau mit ein, zwei Klicks ins gelobte Land allwissender Ignoranz. Weil wir es so haben wollen. Weil wir unsere Privatsphäre längst mit Fackeln und Forken aus dem Dorf gejagt haben. Weil wir die drei Affen sind und selbst zum kleinen Aufregen die Lust oder die in Lähmung erstarrte Kraft fehlt. Ist ja auch anstrengend und schwer zu überblicken. Gibt’s nicht vielleicht wieder irgendeinen simplen Aufreger als Beruhigungs-Methadon? Irgendwo?

Özils Abschirm-Move

Google

Die Tagesschau ist eine gute Sache. Kurz, prägnant, auf den Punkt und vergleichsweise breit gefächert. Und ihr Online-Rückblick der vergangenen Woche steht immer dann Spalier, wenn man gerade seine Blog-Kolumne inhaltlich füttern will. Zum Google-Thema gab es in den letzten Tagen 1 Meldung, zu Özils Rücktritt aus der Nationalmannschaft seit Sonntag ganze 12. Sicher, der Weggang eines Deutschtürken aus einem international Geld schiebenden gemeinnützigen (!) Sportverband geht uns alle etwas an, mehr jedenfalls als die systematische Erhebung und Speicherung ganzer Serverfarmen persönlicher Daten zur Gewinn bringenden Weiterverarbeitung.

Apropos Gewinn: Erst im letzten Jahr durfte Google weit über 2 Milliarden für die Priorisierung des eigenen Preisvergleichsdienstes bei der Google-Suche blechen. Natürlich nur zum Wohl aller, versteht sich. Und hat der Özil ernsthaft gerade Rassismus gesagt? Hör ma‘! Bei unseren Kickern!? Wer hat sich denn mit dem Schinder vom Bosporus ablichten lassen und sich nicht gleich ordentlich gerechtfertigt wie der Gündogan? Wie? Was? Matthäus? Ein Foto mit Putin? Ja, und? Hier geht’s um Erdogan! Und jetzt beleidigt uns der Mesut auch noch, die Sau!?

Das geht aber auch schnell, dass sich der geneigte Deutsche wieder dahin zurück gesetzt fühlt, wo er eigentlich seit Jahr und Tag steht. Komm her, arbeite für uns, bringe Leistung und dann gehst du wieder nach Hause. So war doch der Deal seit den 60ern! Aber da ist sie wieder, die Fratze des hässlichen, intoleranten Zweierlei-Maß-Deutschen, die keiner mehr sehen kann und will. Eine Einzelgeschichte zum Echauffieren, Emotionalisieren und Kollektivieren.

Und wenn man den Özil googelt, findet man auf Seite 1 nur Einträge zu diesem einen Thema, nebst zwei Verweisen zu Wikipedia und Instagram. Es war eine einfache Zeit, als man sich noch über die Bild-Zeitung als Diskurs-steuernde Dreckspostille beschweren konnte. Dabei nutzen wir alle ein und dasselbe Leitmedium, das gar nicht so insgeheim schon viel weiter ist als es die perfekt zugeschusterten Urlaubs- und Topsellerschnäppchen vermuten lassen. Aber wir lieben unseren großen Bruder. Und einen großen Bruder stellt man nicht in Frage!

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