Island Reisebericht – Tag 2 – Go fuck your Selfie

Von Zweien die auszogen, sich warm anzuziehen

Tag 2, Frühstück: Die schrecklichen Bilder von Fish & Chips für 2000 Kronen, also etwa 17 Einheiten unseres Finanzäquivalents, bekommen wir wohl so schnell nicht mehr aus dem empfindlichen Gedächtnis und überlegen, uns für die kommenden Tage nur auf das Lebensnotwendigste zu verlassen; Soll heißen, sich von lieb gewonnenen aber verzichtbaren Spaßgaranten wie Nahrungsaufnahme im Großen und Ganzen zu verabschieden. Frühstück ist zum Glück inklusive, ein kleiner Snack zwischen Kaffee, Saft, Brötchen, Käse, Wurst, Obst, Kuchen, Fisch, Ham & Eggs, Würstchen, Pancakes, noch mehr Saft, Kaffee und Kaffee darf es da schon sein. Mein Mitgereister schaut irritiert, wo das bei mir alles hinpassen soll. Ich könnte ihm jetzt mittels Grundkenntnissen aus der Quantenphysik erklären, wieso ich gleichzeitig esse und nicht esse und also gar nichts ansetzen kann, während das alles ansetzt, aber ich lasse ihn lieber irritiert schauen, ist ja noch früh und immer noch hell. So ganz will uns aber der selbst gesetzte Ramadan nur theoretisch gelingen, und schließlich verschlägt es uns doch in den Krónan. Wer mir jetzt sagen kann, womit man dort bezahlt, bekommt Punkte zum aufheben und verschenken. Für etwas Wasser, Limo, Tomaten, Trauben, Snickers, Müsli-Riegel und ähnlich übersichtliche Devotionalien sind dann schnell wieder 50 Lappen weg, vielleicht sollten wir uns einfach ergeben. Egal, das gute Viking Light Beer wertet den Einkaufskorb optisch ungemein auf und die drei letzten Tuborg-Dosen sind auch unser (Welch fatalöser Fehlkauf, nur ahnen wir das noch nicht im Geringsten).

Während uns Bullroc langsam aus den schützenden Stadtmauern in die verwilderte Ungewissheit leitet, wollen wir eigentlich schon wieder anhalten, alle paar Minuten. Nicht weil wir Angst vor dem Alptraum jedes naiven Hobby-Kleinwagenfahrers hätten, höchstens den gebotenen Respekt, man will ja keine Schwäche zeigen – Vielmehr, weil wir in den ersten paar Dutzend Minuten zwischen violett-grünen Wiesen, Tälern, Bergen, Gletschern, Bächen, Seenlandschaften und Schafen schon derart Denkwürdiges an majestätisch unberührter Natur zu entdecken haben, dass sich jedes Fleckchen Erde sofort als Memorabile ins hauseigene Wohnzimmer zu stellen wäre, müssten dann nicht ständig die nervigen Nachbarn zum Fremdstaunen klingeln. Auch stellen wir fest, dass so gar kein Wind vor sich hin existiert, trotzdem hatten wir innerhalb einer Stunde schon Wolken, kurz Regen und jetzt töfteste Sonne. Selbst Erstere wirken hier gar nicht so aschgrau fahl wie zu Hause, eher gemäldegleich mächtig, Letztere verbreitet sogleich ausreichend Backofen-Laune. Das meinten also diese Island-How-to-Tutorials mit der Zwiebeltechnik: Nicht etwa ein philosophisches Grundprinzip, das psychosoziale Innenleben waldläufiger Ogerarten adäquat zu beschreiben, sondern das gezielte Aufeinander-Schichtsalaten mehrerer dünner Kleidungsutensilien zwecks fliegendem Wechsel. Hab ich eigentlich irgendwas mit Kapuze mitgenommen? Wie viel Wasser gibt’s überhaupt auf so ‘ner Insel? Halten das die Baumwoll-Jeans aus? Das größte Vertrauen im mobilen Kleiderschrank wecken noch die Aetna-erprobten 10-Euro-Wandertreter vom sizilianischen Wochenmarkt.

Island Golden Circle
Island, Golden Circle - Erste Impressionen

Kamikaze-Tiefflieger und 8-Bit-Space-Invaders

Dem ersten kurzen Halt bei Wasser, Wiese, Schaf, den wir uns nach wochenlanger Intensivrecherche auserkoren haben und weil da schon zwei Autos mit Leuten stehen, entkommen wir nur knapp lebend. Mein Pionierspartner muss durch unvorsichtiges Voranschreiten die ansässige Fauna derart verärgert haben, dass herabpreschende Kamikaze-Seemöwen, die nie den Weg aus japanischen Internierungslagern hätten finden dürfen, seinen Kopf samt Nacken alsbald für den eigenen Märtyrer-Schrein auserkoren haben. Puh, das war knapp, ob die ganze Island-Sache wohl so eine gute Idee war?

Lieber schnell weiter Richtung Thingvellir-Nationalpark, da ist es sicher, diesen Eindruck machen zumindest die Massen vielfarbenster Touristen-Rotten, die diesen Ort schon vor langem inkorporativ hausbesetzt haben. Wieder auffallend viele Amis, es scheint ihr Epizentrum zu sein, ihr natürliches Habitat – Dass hier die eurasische und amerikanische Platte aufeinander geprallt und auseinander gedriftet sind, muss sie in Scharen hervorgebracht haben. Wie sich dabei dennoch so viele Asiaten darunter mogeln konnten, weiß man ja nirgends so genau. Ein gut erhaltenes Thing, ein vorsintflutlicher germanischer Versammlungsplatz also, beruhigt uns dann doch schnell – Mit uns Mitteleuropäern muss man halt immer rechnen. Abseits der betretbaren Wege mit dem ganzen Menschen-Gedöns kommen wir zwei Recken dann doch auf unsere Kosten: Gelb-grün  bemooste Terra Semi-Incognita, bodenferne Hügel-Spalten für den Parcours-Anfänger, beschauliche Felsbäche und Kontrollrunden marschierende Wildgans-Squads wiegen uns in Sicherheit, bis uns C-64-Lärm im Luftraum aus unserer Ruhe reißt. Ich weiß bis heute nicht, ob das Papageientaucher waren, die die wichtigsten Story-Plots aus Space Invaders nachgestellt haben. Vielleicht auch die nicht minder beliebten Odinshühnchen oder Dickschnabellummen, in jedem Fall der Hobby-Traum jedes feuchten Ornithologen. Lass mal lieber schnell weiter gehen, da hinten gibt’s ‘nen Wasserfall, sowas sehen wir nicht so schnell wieder. Ist dann auch ganz nett, aber überschaubar, eher ein Wasserfällchen, und überhaupt: Zu viele Leute mit doofem Blick und bunten Klamotten, lass mal weiter ziehen.

Thingvellir Nationalpark
Thingvellir Nationalpark

Go fuck your Selfie, jetzt ist Wasser!

Auf zu Orten, an denen Menschen sich freuen, wenn Wasser schnell nach oben fließt und dabei übel riecht. Könnten wiederum Touristen sein, gibt ja auch hier genügend davon, dennoch scheinen die teils vor sich hin blubbernden, teils kerzengerade nach oben schnellenden (Phallus, anyone?) Geysire wie der gewaltige Strokkur den Urheber für das beißende Faule-Eier-Bouquet darzustellen. Und toll aussehen tut’s ja schon. Den herum wuselnden Ortsfremden möchte man dennoch ihre dämlichen Selfie-Sticks über den Hutständer zimmern und diese Reisegruppen-Knäuel haben außerhalb der Set-Grenzen von The Walking Dead ja mal so gar nichts verloren.

Geysire Island
Geysire

Unserem Gute-Laune-Staunen und „Boah, guck mal da!“ tut das natürlich keinen Abbruch, besonders wenn man sich in entgegen gesetzter Himmelsrichtung auch dafür begeistern kann, wenn Wasser nach unten fließt, solange es das nur riesig, schnell und laut macht. Der gewaltige „Gullfoss“-Wasserfall entschädigt in jedem Fall für das arme Süppchen von vorhin, was für ein Anblick! Gut getimte Snapshots halten sogar den Regenbogen fest, der sich in all dem Getöse bildet, auf einem der professionellen Wackelbilder ganz klar zu sehen, dass jener mitten auf der Wiese endet. Ich hätte mir den Kobold-Goldtopf holen sollen, das wären hier locker zwei Mahlzeiten mehr gewesen – Chance verpasst! Und wieso ist es jetzt schon so spät, dass wir uns mit unserem Gefährt die direkte Luftlinie zum Hestakrain-Guesthouse-Check-In zurecht pflügen müssen. Schau mal Sonne da, ist doch gerade erst Mittag. Okay, ab über die Feldwege, Bullrocs Spezialgebiet, quer durch mehr isländische Natur, die eigentlich genau so ist wie Reykjavik: Urig, rustikal, wunderschön und von unterbelichtetem Stilunwillen geprägt. Entgegen kommende Traktoren und SUVs machen bereitwillig Platz, oder ärgern uns eben – Wir nehmen’s mit Humor, denn sie wissen nicht, was sie tun.

Gullfoss Wasserfall
Gullfoss Wasserfall - Mit Regenbogen

Mein linker linker Platz ist frei – Bekenntnisse eines Hot-Tub-Vegetariers

Boah, guck mal da! – Diesmal wegen der Rezeptionistin. Die gibt’s hier wohl echt nur in blond und verboten süß. Weiter draußen auf dem Land auch gelegentlich in dunkelhaarig, dann aber eher stämmig und von der rauen Umgebung gezeichnet. Das Kellnern beherrscht sie jedenfalls, unüblich für die Gegend, aber das können wir ja noch gar nicht wissen. Es gibt Lamm, Ehrensache. Ach hätte ich doch nur den Topf Kobold-Gold! Und überhaupt ist diese zum Gasthaus umfunktionierte Scheunen-und Viehzucht-Romantik so viel gemütlicher und sympathischer als die Beton-und-Glas-Kälte vom Vorabend. Auch wenn ich im Nachhinein auf den Spaziergang um das Areal lieber verzichtet hätte, war da nicht was mit Lamm? Ich will nicht sehen, wo das herkommt, ich will nicht die Kulleraugen am Gatter stehen und mich Hilfe suchend anflehen sehen. Gemein! Lamm ist für die Zukunft gestrichen! Auch wenn’s echt lecker war.

Und trotzdem will ich hier bleiben, spätestens bei 8°C Lufttemperatur und 38°C Wärme im Hot Tub. 22:30 Uhr, Wasser, Dampf, die Landschaft ruht und wir haben Light Bier. So tiefenentspannt müssen sich Götter fühlen. Ob die rumrezeptionierende Kellnerinnen-Elfe schon Feierabend hat? Bin gar nicht müde und hier ist noch Platz im Pool. Ist sogar noch hell, die Laternen sind nicht mal an. Ja, das fasziniert immer noch, die kleinen Dinge werden halt nie langweilig.

Guesthouse Hestakrain
Guesthouse Hestakrain - Mit Hot Tub, Light Beer und Kackstelzen

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