The Day After Tomorrow 2 – Jake G. regelt das Eis
Wasserdruck wird überbewertet. So sehr mir das Hali Country Hotel auch gefällt, aber der Versuch, kopfüber in Pfützen zu baden, sähe wohl nicht nur weniger hilflos aus als mein zum elendigen Scheitern bestimmter Duschversuch, sondern wäre bestimmt auch effektiver. Sich hingegen schon 8:30 Uhr mit mehr kunterbunten Fressalien zwischen Salat, Fisch, Würstchen, gelben Bohnen, Teigwaren in allen Formen und Krustengraden und quasi allem mit dem bloßen Auge Sichtbaren luftleer auszustopfen, als je zur finanziellen Rettung des gesamten inner-isländischen Catering-Servicesystems nötig gewesen wäre, bringt das eigene Stimmungsbarometer wieder auf Trab. Aber Jung‘, die Energie wird gebraucht, das wird ein langer Tag, ein ‚Wir haben 9 Uhr ausgecheckt und schaffen’s trotzdem nicht vor 20 Uhr zur nächsten Dach-und-Wand-umsäumten Herberge‘-Tag, mit viel brumm brumm, und viel latsch latsch und viel kraxel-Aua-meine-Knochen…
Dennoch ganz spannend, wie viele Dualbeiner schon zu solch vorchristlicher Uhrzeit der Meinung sind, sich bewegungsunmotiviertes dünnes Wasser mit ähnlich entspannt darauf herumdümpelnden deutlich undünneren 5-Meter-Eisbrocken unter vollstem Körpereinsatz der eigenen Kinnlade anzusehen. Leute wie wir also. Dass die Gletscherlagune Jökulsarlon den vorerst letzten Touri-Hotspot unserer Odyssee darstellen wird, beruhigt durchaus, spielt jetzt aber auch keine Rolle, da das gebotene Natur-Schauspiel die Optik-Synapsen fest umklammert. Zwischen Sensodyne-weiß, Curaçao-blau, Turtle-grün, Vanta-schwarz und je nach Lichteinfall allen irrwitzigen und jeden Farbkreis in den theatralischen Freitod treibenden Mischtönen geht es per „Jökull“-Kleinstkreuzer und Tourguide Benoit mitten rein in das vereiste Walhalla – welches vor einiger Zeit noch gar nicht da war und in ein paar Jahrzehnten schon nicht mehr da gewesen sein wird – für Fotos machen, Staunen tun und was-zu-erzählen-haben. Benoit sieht dabei nicht nur aus wie ein Genexperiment aus Jake Gyllenhall und Oscar Isaac mitsamt unironischer „Euch bums‘ ich auch noch“-Attitüde (Mit der Personen-Addier-Hilfskraft beim Kutter-Einstieg wird er nach Schichtende jedenfalls nicht nur ein Gletschereis essen gehen), sondern kann uns auch einiges erzählen über die Ex-Vietnam-Veteranen-Schaluppe unter unseren Kontinental-Füßen – und über James Bond und Lara Croft, die ja auch schon alle hier waren, um mittels Teleobjektiven und Kabellegern in Hollywood fett Schotter einzufahren.
Kein Fjara für mich
Weil es heute aber um immens viel eilig und viel zu tun und Strecke zu schaffen geht, grüßen wir alsbald den ein oder anderen tausendsten Begrenzungspfahl in genau der Richtung, aus der wir gestern gekommen sind, für Skaftafell war halt einfach keine Zeit mehr. Ich will nix hören, das ist wichtig! Ich meine, wann sieht man hier schon mal ‘nen Nationalpark oder… Wasserfälle (Ja, ich weiß, ich hatte was versprochen…). Die lehmbraunen Basaltsäulen, zwischen denen sich hier diese überdimensionierten Wasserhähne ihre Bahnen brechen, sehen aber auch filmreif aus, während der Park selber wohlig an anachronistische Mittelgebirge-Trips erinnert, zum Glück ohne Radio Brocken. Irgendwo nach vielen hundert Metern eindeutig TÜV-ungeprüftem Bergauf-Geklimme sind wir schnell wieder weitab der zur Festländer-Erquickung vorgesehenen Schotterpisten, ohne Speer, Pfeil, Bogen und Marco-Polo-Survival-Guide im Gepäck zu haben.
Den Endpunkt des Querfeldein-Flanierens stellt ein bronzenes Sonnenuhr-Gebilde dar, in welches Sólstafir in Schönschrift die Tracklist ihres ‚Otta‘-Albums reingekratzt haben, die Schlingel. Oder sie haben halt abgeschrieben, die Schlawiner. Überhaupt scheint Skaftafell-Bombing ein stilles Hobby der Band zu sein, unten im Souvenirshop haben sie gleich noch ein paar Kärtchen drapiert, auf denen deutlich zu sehen ist, dass sie ihr Flugzeugwrack aus dem ‚Fjara‘-Dreh rein zufällig an einem der schwarzen Sandstrände zurückgelassen haben, die wir nicht entdecken konnten, weil wir uns gefügig dem Ringstraßen-Totalitarismus verschrieben hatten. Sind zum Glück nur etwa 300 km zurück in die kontra-korrekte Richtung, also los geht’s. …Ich glaube, ich mag meinen Reise-Compadre nicht mehr, meint der doch allen ernstes, dass sei logistisch nicht realisierbar. Gut, muss ich halt nochmal her.
Eine Ringstraße, sie zu knechten
Also nach Osten, vorbei an einer Gletscherlagune, die man sich bei Gelegenheit ja mal anschauen könnte, und an einem hübschen kleinen Country Hotel direkt am Meer. Wie schon die Tage zuvor ist das Wetter meist unser Best Buddy: Während wir in unserem Metallpanzer gen majestätischer Landschaft der isländischen Ostfjorde zirkeln, die abseits jeden Artikulationsbedürfnisses und durch schiere Präsenz ihre Chefposition unhinterfragt nach außen kehren können, wird es erst trüb, dann nebelnd, dann gießend – und strahlend sonnig, als wir kurz in dem malerischen Küsten-Ort Höfn Station machen. Die Côte d’Azur-Idylle lädt zum Entspannen ein, während es die Geschichte des Sonnensystems als Wanderpfad samt kostenfreiem Gletscher-Viewing oben drauf gibt.
Bullrocs Schlacht durch die Fjordserpentinen bedarf es aber keinen weiteren Aufschubs. Rechts von uns und ganz unten die Weite des blauesten Meeres, links von uns und ganz oben Unheil verkündende Felskolosse mit Hang zu spontaner Geröll-Lawinität, die Haudegen dazwischen treten das Gaspedal unbarmherzig durch die Verkleidung des Panzerbrechers – Meine USA-geprüfte Reisebegleitung fühlt sich unweigerlich an den Highway No. 1 zurückversetzt, ich glaube ihm. Zumindest, bis die Asphaltdecke keine Lust mehr hat und nach Hause geht und uns der Zähne fletschenden Kies-und-Schotter-Endlosigkeit vor uns aussetzt. Für Bullroc die leichteste Übung und dennoch frage ich mich, wieso wir ausgerechnet jetzt an Tag 4 den ersten 20-Tonnern unserer Reise begegnen müssen.
Kein Platz für Zweifel, die Uhr tickt. Und dennoch ist man unentwegt versucht inne zu halten, um auch ja keinen der unzähligen landschaftlichen Eindrücke vorbei ziehen zu lassen. Freilich haben wir zwei Botanik-Doktoranden mittlerweile zweifelsfrei eruiert, dass Mama Natur erst Island gebaut und geübt und ihre selbstgebastelten Wundervolligkeiten dann auf den Rest der Welt verteilt hat. Grünste irische Wiesen, schottische Mooshügel, spanisch-süditalienische Steinwüste, mitteldeutsche Waldgemütlichkeit, französische Weinterrassen (ohne Wein!), finnische Seenplatten, norwegische Fjordlandschaft, schneebedeckte Alpen-Panoramen. Könnten wir ahnen, welche Postkarten-Déjà-vus zwischen amerikanischer Westküste und australischem Outback mit Ausflügen ins Außerterrestrische noch unseres Weges harrten, wir leiteten unser Schlachtschiff vor lauter Schwärmen geradewegs vorbei an nicht-existenten Leitplanken in das kristalline Nass. Dabei fragen wir uns, ob diese Vielfalt den Ureinwohnern hier überhaupt auffällt oder ihnen mit einem echt isländischen Schulterzucken am fröstelnden Arsch vorbei geht.
Ich heirate den Koch
Apropos Lokalkolorit, also was zu essen dürfte man uns mittlerweile schon ganz gerne kredenzen. Würde es hier draußen noch Läden gäben, hätten die schon längst Feierabend, weil …Wie spät ist das bitte!? Jetzt aber zackig flott, durch versteckt-vornehme Beverly-Hills-Küstendörfer und in den blanken Stein geklöppelte, nicht enden wollende Tunnelröhren nach Egilsstadir, der letzten Bastion maßvoll zivilisatorischer Kleinstadt-Folklore inmitten vorhochländischer Gebirgs-Ästhetik. Schließlich wartet hier ein 8000-Kronen-Dinner mit Black-Angus-Burger, lokalen Ales und einem kleinen Häufchen Unscheinbarkeit namens Hot Chocolate Cake. Und weil ich ja seit Tagen alles phototastisch für die Schnelllebigkeit festhalte, habe ich das hier – natürlich – nicht gemacht.
Es ist mir herzlich wurscht, ob der die das Köchin männlich oder weiblich oder nur Bart mit Augen ist, ich will er sie es vor den nächsten Altar zerren, sofort! Kaum säbelt man in diesen kleinen braunen, mit Himbeer-Sprenklern beträufelten Teigklumpen, ergießt sich Göttertrunk-gleich eine Masse heißer, karamellisierter Schoko-Viskosität, für die man auch gerne in den ein oder anderen Krieg ziehen darf, wenn’s denn gerade pressiert. Ob meinem vormals Beifahrer und momentan Beisitzer gegenüber vom Tisch meine spastisch-orgiastischen Laute während des Verzehrvorgangs peinlich sind, weil es ja auch noch andere Gäste gibt, kann, nein soll mir Schnuppe sein. Weil aber jedes kleine Fleckchen Paradies per definitionem flächenmäßig begrenzt ist, beendet ein leerer Teller bald die Glückseligkeit, es ist ja auch spät und wir sind eindeutig F wie fertich. Ach schau her, es fängt wieder an zu regnen, jetzt wo alles abgehakt ist für heute – Wetter ist guter Junge, Wetter ist Ehrenmann!
Hast du das Abendessen damals nicht fotoknipst? Gefühlt hast du das doch ständig…
Den Burger, ja. Aber nicht den übererstaunlichst faszinotastischen Schokoladen-Kuchen. Karamell auf mein Haupt…
Und zwar in Massen! 😀