Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Wüste
Okay, ich sollte wirklich kein weiteres Wort über allmorgendlich-orgiastische Fressgrausamkeiten meiner geringen Wenigerkeit verlieren, die lästigen Abnutzungserscheinungsflecken bekommt man ja auch so schlecht wieder rausgepflegewaschgangt. Und um das Kettensägen-lose Buffet-Massaker noch bestaunen oder zumindest kopfschüttelnd würdigen zu können, muss man schon dabei gewesen sein oder in alten Götter-und-Sagen-Primärüberlieferungen davon Kunde erhalten haben. Nur so viel: Einen 1,50 Meter hohen Kuchen-Ständer kann man auch auf einem 20 Zentimeter durchmessernden Kuchen-Teller technisch exakt nachbilden, Essen findet außerhalb der physikalisch definierten „Es kann kein Objekt sein, wo ein anderes ist“-Grenzen statt und XXL ist immer eine Frage der Perspektive, aus welcher Entfernung also das Subjekt den Stein des Ansetzens begutachtet. Der Fähigkeit des Sich-Fortbewegens nicht gänzlich beraubt verschlägt es uns zwei Pfarrerstöchter alsbald in den nächstbesten General Store (*mit Salutier-Geste „General Store!“ skandierend*), um essenziell Leben erhaltende Grundmittelchen wie Knabberzeugs und halbgegorene Hopfenextrakt-Derivate aufzustocken. Dabei fällt erneut auf, dass die Tonbeschallungsmuscheln isländischer Nahrungsdistributionslager angenehm sparsam mit der sonst so allgegenwärtig gagaesken, rihannoiden und perrytösen Kantenglättungs-und Weichzeichner-Importware umgehen, viel lieber auf elektronisch-melancholische Eigenzucht der Marke „Vök“ setzen. Ich bin völlig aus dem Häuschen, weil ich die Band erst seit kurzem kenne und den Song sofort einordnen kann – und fühle mich gleich viel wichtiger und musikalisch belesener als die Schulter zuckende Pfarrerstochter 2.
Nun hilft weitläufige Trivia über nordländische Populärmusik im Regelfall selten, um ganz handfesten Gemeinheiten wie isländischen Benzinpreisen den Scheitel zu ziehen. Zwar liegt der Etwa-Ein-Drittel-Aufschlag gegenüber unseren Breitengraden im Gegensatz zu dem völlig ungehemmt kapitalisierenden Service- und Genussmittelkorrumpat im durchaus humanen Bereich, aber Bullroc, dem Tier, dürstet es nach Frischblut (5 Liter! Kombiniert!!) und die bis dato rund 1.000 Kilometer Strecke schlagen herbe Furchen ins Kontor. Ein voller Tank sollte es aber auch sein, wenn man sich zum Ziel setzt, mal eben die Interstate 80 quer durchs Land bis tief in die Sierra Nevada abzustecken. Zumindest verbinden wir den Eindruck amerikanischer Westküsten-Ödnis unmittelbar mit der mächtigen, grau-braunen Steinwüste, die sich in alle Richtungen ergießt, nur durchtrennt von der sich unbeirrt voran schlängelnden Ring-Route, in der Ferne begrenzt von majestätischen Fels-und Gebirgszügen. Und wie Kumpel Sonne langsam immer kräftigere Bahnen zieht, leuchten einige der Kolosse rotbraun glimmend auf, als hätte es uns in das australische Outback um den Ayers Rock verschlagen.
Botox schwimmt immer oben
Natürlich sind wir jetzt der Meinung, also echt mal so wirklich alles gesehen zu haben, außer weißem Sand und subtropischem Dschungel gibt es offenbar nichts, was Island nicht kann. Und weil Island das weiß, denkt sich Island: „Okay, es ist halb 12 mittags, das Gros an Klimazonen wäre dann mal abgefrühstückt, wo kriege ich denn jetzt schnell Alternativen für die zwei Besserwisser-Lowbobs her?“ Im Nachgang hätte es sich als taktisch durchaus klug erwiesen, den kurzen Moment festzuhalten, mit dem wir uns der surrealen, extraterrestrischen Unwirklichkeit von Hverir nähern, einer zerklüfteten Kleinkrater-Mondlandschaft irgendwo zwischen schwarz-weiß und goldbraun-violett mit dampfenden, vor sich hin wabernden Geotherm-Schwefeltümpel…..Moment mal, Schwefel!? Godspeed und Farewell, Nasennebenhöhlenschleimhaut! Es ist uns bis heute unbegreiflich, wie sich ganze Busladungen todesmutiger Neuzeitprimaten inmitten dieses komprimierten Faulei-Infernos kollapsfrei bewegen können – Uns zwei Zartpflanzen genügen hingegen Femtosekunden, das Parkplatz-Areal als zweifelsfrei überfüllt zu verifizieren und die ureigenen Überlebensinstinkte über das optisch selbstredend beeindruckende Schauspiel kampflos obsiegen zu lassen.
Eine der Genfer Konvention weit näher stehende Geothermal-Erfahrung wartet schließlich nahe des Myvatn-Sees. So ein wenig kann sich auch dieses azurblaue, per Erdwärme betriebene Mehrpool-Paradies die gallige Sulphur-Note nicht abstreifen, vielleicht kriecht die aber auch nur über die Hügel hier herüber und setzt zur feindlichen Übernahme an oder unsere Geruchsrezeptoren sind bis in alle Ewiglichkeit irreparabel beschädigt. Die balsamende Garten-Eden-Idylle zwischen Lavaformationen und grünster Tal-und-Seenlandschaft tangiert das jedoch kaum, viel weniger kann man sich in beheiztem Freiwasser vor lauter Tiefenentspannung auch nicht bewegen wollen, und der Asthmaprävention macht’s auch Spaß. Irritierend ist allein dieses einzelne festgegrinste Kalksteingesicht mit Botox-Topping, welches die Lagune in Mantra-artigen Bewegungen auf-und-ab oxidiert. Offenbar – Kann die bitte mal mit dem dämlichen Gegrinse aufhören? – offenbar wurden bei Madame aber noch ganz andere Körperteile in eine künstliche Horizontal-Position verfrachtet. Gut, wenn das Schiff untergeht, haben wir zumindest ein Rettungsboot.
Black Metal 2.0
Schnitt: Was eben noch unendlich beruhigend war, entwickelt sich nach 30 Minuten schleichend aber unaufhaltsam zu einer Rentner- und Asiatenhölle mitsamt deutsch-schmerbebaucht und beglatztem „Ja, die Zahlen waren ja schon lange so schlecht, jetzt konnten sie endlich Insolvenz anmelden…“-Big-Business-Wahnwitz. Touristen, sie sind … wieder … da! Neues Ziel also: Nicht das große Ganze, sondern das Schöne im Kleinen will begutachtet werden, abseits des Reiseführer-Hot-Spot-Grundinventars. Und wenn schon ich nichts mit Black Metal anfangen kann, dann die bunt behosten und abgeranzten Reiselust-Zombies noch viel weniger, auf also nach „Dimmuborgir“, bin ich einem guten Freund ja auch schuldig. Die lavatische Grundsubstanz Islands, die schon in Teilen der Südküste frech hervorgelugt hatte, braucht sich angesichts der unüberblickbaren, tiefschwarz bedrohlichen Vulkangestein-Formationen hier ja so gar nicht mehr verstecken. Die nicht von ungefähr an Teufelshörner und zerbereske Höllenschlund-Mäuler erinnernden Gebilde erübrigen die Frage, weshalb sich die Band nach dieser Region benannt hat – Während die zwischen „difficult“ und „more difficult“ oszillierenden Wanderpfade samt an uns heran getragener „You’re not allowed over there“-Warnung (Hupsi!) schon eher dem höherleveligen Teilzeitabenteurer genüge tun.
Dass der hiesige Körperendprodukt-Erleichterungsverschlag ebenfalls den geschätzt präkambrischen Überalterungsprozess überlebt hat, wage ich dennoch zu bezweifeln, ohne fortgeschrittenes Social-Connectivity-Diplom kann das hier nämlich ganz schnell in die Baumwolle gehen. Da gibt es einen Wandapparat, der über einen mehrstufigen Turing-Test den Weg zu einem Kreditkarten-Abhobel-Gerät freigibt, welches dann wiederum einen QR-Code ausspuckt, der erst nach störrischer Scanner-Überwindung den verdienten Gang in das Abseilareal erlaubt. Die spinnen, die Isländer!
Das letzte Gemälde von Bob Ross
Demgemäß verwirrt geht es über 12 Kilometer Schotter zum Fischerstädtchen Husavik – Natürlich haben wir keine Angst vor Steinschlag, Steinschlag hat Angst vor Bullroc. So! Und wieso hupt der Penner so blöd, nur weil ich mitten auf dem Blindhaed stehend die endlose Piste vor uns fotoknipse? Blindhead, das sind derart schmale Hügelkuppen, dass man nicht mal eine entgegen rollende Haubitze auf 10 Meter erahnen könnte. Egal, das ist Bullroc! Kopf zu, Junge! Husavik selbst stellt sich dann als erwartet niedlich dar, von den kleinen Fischerbooten über die bunten Häuschen, die urige Kirche bis hin zu der locker-schnodderigen Kellnerin, die uns nicht nur auf die Bierconnoisseur-freundliche Happy Hour aufmerksam macht, sondern zugleich bezahlbare(!) Fish & Chips serviert, bei denen ein einzelner panierter Filetbobbel jedem Doppel Whopper mühelos Schatten spenden könnte.
Als wir nach vielen weiteren Kilometern im Guesthouse aufschlagen, glauben wir noch, für heute ganz gut was weggesehen zu haben – Bis wir auf den Balkon des Zimmers treten und sich eine unvergleichliche Fjordlandschaft direkt vor unseren Füßen ergießt. Über ruhendes Baum-und-Wiesen-Grün das tiefblaue Meer nur einen Katzensprung entfernt, unmittelbar dahinter Kilometer hohe Gletscherkuppen, in der Ferne zeichnet sich Islands zweitgrößte Stadt Akureyri ab, strahlende Sonne, dazu Tuborg Light. (Nur eins in dieser Liste rockt nicht!) Jetzt, genau hier und jetzt werde ich … Postkarten schreiben! Anderthalb Stunden Feintuning, um unmissverständlich einzutrichtern, wie viel besser es mir gerade geht – Ehrensache, dass ich daher auch an mich selbst eine Kleinigkeit verfasse, wenn auch nur um zu sehen, ob ich eine neue Zeitform erfinde, wenn ich mein Vergangenheits-Ich mit meinem Zukunfts-Ich im Präsens-Singular schwadronieren lasse. Die letzte Großtat für heute bleibt aber, meinem täglich gepflegten Notizbuch für den morgigen Tag Cat Content zu versprechen – Noch weiß ich nicht, dass das kleine Stück Papier magische Kräfte hat…
Oh Mann, jetzt hab ich wieder den faule Eier hoch 10 Geruch in der Nase. Man kann echt nur hoffen, das es auf dem richtigen Mond nicht so riecht, sofern man da denn etwas riechen könnte…
Ich versteh‘ immer noch nicht, wie sich da Leute schmerzfrei dazwischen bewegen konnten. Und schade auch irgendwie, denn es sah schon ganz cool aus 🙂
Die waren wahrscheinlich alle geruchlos und deshalb den Geruch los.
Chapeau! Er ist der geistreichste Spaßmacher der Saison 🙂
Merci beaucoup…