Es ist einiges passiert in der vergangenen Woche, worüber es sich zu schreiben lohnen könnte – Nicht unbedingt die große weltbewegende Schlagzeile, aber dennoch genug, was angesichts der medialen Dauerüberflutung schnell wieder in Vergessenheit gerät. Die Schwelle für Sensationscharakter scheint immer höher zu liegen, vieles verkommt zu Randnotizen.
Anschlag in London
Dass in Parsons Green, London, eine improvisierte Bombe in der U-Bahn detoniert ist wird wohl an nur wenigen vorüber gegangen sein. Dass niemand lebensgefährlich verletzt oder gar getötet wurde lässt aufatmen, dennoch wird der gescheiterte Anschlagsversuch daher nur eine Kurzbemerkung bleiben. Scotland Yard hält sich mit den Identitäten der zwei Festgenommenen bedeckt. Der IS reklamiert den Vorfall für sich – ebenso zu erwarten wie unglaubwürdig. Dass es eine größer geplante Sache vernetzter Fanatiker war – Kaum wahrscheinlich. Und überhaupt: Es sind Nachrichten wie wir sie mittlerweile kennen. Nicht in dem Sinne einer tatsächlichen Gewöhnung, aber man stumpft ab, das Fell wird dicker. Lebt man in einer größeren Stadt, nimmt man die Möglichkeit terroristischer Aktionen als unbequemen Teil seiner Lebenswelt wahr. Das ist dann gefährlich, wenn dabei Empathie auf der Strecke bleibt – Aber es ist auch wichtig, weil dem Terror damit sein wichtigster Nährboden entzogen wird: Panik und Hysterie. Gestern war Fußball in Leipzig, daher erhöhtes Polizeiaufgebot. Aber es gab Stellen im Zentrum, die wurden großräumig abgesperrt. Beamte wühlten in Mülltonnen, ausländische Mitbürger wurden gefilzt – Wir sind abends durch das Zentrum gegangen, haben das stirnrunzelnd registriert. Genaueres weiß ich heute noch nicht, morgen werde ich es schon wieder vergessen haben.
Heiner Geisler, das soziale Gewissen der CDU
Vergessen werden auch schnell Leute die von uns gehen, wenn sie ein entsprechendes Alter erreicht haben oder vielleicht auch unbequem waren anstatt ‚Everybody’s Darling‘. Heiner Geisler war so einer, Zeit seines Lebens CDUer durch und durch, Christdemokrat im wahren Wortsinn. Aber auch ein Erneuerer, Reformer, der auf den Tisch hauen und nachtreten konnte, rhetorisch geschickt, aber ohne falsche Freundlichkeit. Einer, der besonders für den konservativen Flügel seiner Partei ein Dorn im Auge war, der ihnen die Heuchelei ihrer christlichen Werte vorhielt, der später den Linksaktivisten von „Attac“ beitrat. Jemand der bis zum Schluss den Finger in die nationale Wunde legen konnte, der früh begriffen hat, dass die AfD eine Dauererscheinung werden wird, da sie für weite Teile des rechten politischen Randes eine gesellschaftlich etablierte Institution darstellt. Einer der letzten Großen von Format.
Alice Weidel und die (Putz-)Frauen
Die AfD hingegen hat sich ein unzählig weiteres Mal unmöglich gemacht, als bekannt wurde, dass Spitzenkandidatin Alice Weidel eine syrische Asylbewerberin privat schwarz beschäftigt hatte. Interessant ist das eigentlich deshalb, weil es erneut tief blicken lässt in das Rechts- und Wirtschaftsverständnis einer Parteiführung, die statt ihrer Kleine-Leute-Propaganda eben genau eine solche politische Schiene fährt – Politik für eine wohlhabende gesellschaftliche Elite, die meint, durch Geld und Status das Gesetz beugen zu können, über dem sie zu stehen glauben. Dass eine AfD-Frau eine Syrierin anstellt ist da eher nebensächlich. Auch Frauke Petry schickt ihre Tochter hier in Leipzig auf eine multikulturell geprägte Privatschule. Den entscheidenden Figuren in der AfD ging es doch nie um tatsächlich nationalistische Inhalte zum vermeintlichen Schutz des besorgten Bürgers (Höchstens dem Gauland kann man den Alt-Nazi bedenkenlos abkaufen), sondern um Macht, Geld und Einfluss. Die Jünger an der Basis freilich wollen diese Diskrepanz nicht sehen, zu attraktiv sind die simplen Parolen der Partei, zu gemeinschaftlich das Gefühl, abseits kruder NPD-Rhetorik die Dinge einfach so ‚sagen zu dürfen‘. Und diese gewollte ideologische Kluft zwischen Parteispitze und AfD-Wählern ist es was die Partei so gefährlich macht.
Lebenslang für Beate Z.
Denn darunter tummelt sich ja allerlei Fragwürdiges und widerlich Fanatisches – Auch dem NSU hätte es sicher gefallen, so bequem in der gesellschaftlichen Mitte ankommen zu können. Beate Zschäpe wird lebenslang bekommen, nie wieder auf freien Füßen stehen, so die Aussicht nach einem unglaublich langwierigen Prozess. Das Thema Zschäpe ist damit durch, auch das Thema NSU. Das wurmt viele, da hier weit um sich greifende rechte Gewalt auf einige wenige Akteure isoliert und mit Ende der Verhandlung ein Haken dahinter gesetzt wird, als hätte sich das Problem damit aufgelöst. Allerdings war das nicht Sache dieses Strafprozesses, in dem es einzig darum ging, Schuldfähigkeit und Strafschwere von Einzelpersonen klar herauszuarbeiten. Es ist hier nicht Aufgabe der Bundesanwaltschaft, verzweigte rechts-fanatische Untergrundstrukturen offen zu legen, das System der V-Mann-Beschäftigung zu demontieren oder das Wegschauen des Verfassungsschutzes und großer Teile des Polizeiapparates anzuprangern – Das sind Dinge, die seit Jahren schon nicht mehr stattfinden, auch das war wieder nur ein Aufreger, eine kurze Ablenkung. Der Prozess gegen Beate Zschäpe ist ein Platzhalter, mit dem man so tun konnte, als wäre das Thema der organisierten rechten Gewalt noch nicht vom Tisch. Fakt ist, einen solchen Tisch hat es nie gegeben.
Für einen Strand an dem wir gut und gerne liegen
Den vielleicht größten Widerhall, zumindest im deutschen Raum, dürfte wohl aber Martin Sonneborn mit seiner im EU-Parlament sitzenden Satire-Partei „Die PARTEI“ verbuchen. Die CDU geht momentan unter dem Wahlkampfslogan „Für ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben“ hausieren. Interessant ist dass sie gerade diese Aussage zum Programm erheben, wo doch der Faktor „Europa“ unter Merkels Amtszeit stets eine derart hohe Rolle gespielt hat. Der Blick hat sich verengt, die Mauer in den Köpfen der aktuellen politischen Führung schon ganz gut ausgebaut. Aber es gibt eben auch vieles, was man außerhalb der deutschen Landesgrenzen nicht unbedingt sehen muss, wenn man sich nicht den eigenen Tag vermiesen und sein persönliches Gewissen herausfordern lassen will.
Auftritt, „die PARTEI“ – Kreisverband Dresden: Dass die Partei Plakate kann ist nicht neu. Dass sie dahin gehen wo es richtig weh tut auch nicht. Aber ihr Wahlplakat-Slogan „Für einen Strand an dem wir gut und gerne liegen“ musste heftige Reaktionen auslösen. Das Schwarz-Rot-Gold der CDU-Plakatoptik ist vorhanden, die abgeknickte Ecke oben rechts verdeckt nur halb das Logo der Christdemokraten. Der untere Teil des Posters ist jedoch zerrissen, das Emblem der „PARTEI“ lugt hervor. Dazwischen Idylle, Sonne, Meer – und die angespülte Leiche des ertrunkenen dreijährigen Syrerjungen Aylan Kurdi – ein schwer zu ertragendes Bild, entstanden vor knapp zwei Jahren und Synonym geworden für eine Politik des Wegschauens und eine Alltäglichkeit des Unmenschlichen. Unmenschlich und skandalös empfinden das Wahlplakat nicht wenige und an bitterem Zynismus ist es auch schwer zu überbieten. Außer vielleicht von dem Pressetext der Dresdner Parteizentrale:
„Beim Erstellen des Plakats haben wir uns an der Feelgood-Kampagne der CDU orientiert und das Strandbild mit den meisten Klicks gesucht. Das Ergebnis hat uns auch überrascht, aber wie Grüne, AfD und Co. zeigen: Kinder machen sich immer gut. […] Einige beklagen die Auswahl dieses Bildes: Stimmt, wir wollten irgend eine andere der tausenden Kinderleichen nehmen, denn der Junge hat wirklich genug gelitten, aber die anderen wurden einfach nicht so hübsch fotografiert.
Anwendungshinweis für Eltern:
Sollte Ihr Kind Sie fragen, so können Sie es wie die meisten Eltern machen, Ihr Kind belügen und sagen, dass der Junge schläft oder sie konfrontieren es mit der Realität, dass es in einer Welt aufwächst, in der so etwas normal ist.“
Fakt ist: Es darf darüber diskutiert werden, ob und wie dieser Junge als Zweckmittel innerhalb des bundesdeutschen Wahlkamps instrumentalisiert werden darf. Fakt ist aber auch: Dieses Bild existiert und was auf diesem Bild zu sehen ist, existiert tausende Male. Der „PARTEI“ Geschmacklosigkeit vorzuwerfen und zum Löschen des Plakats aufzurufen – Facebook hatte in vorauseilendem Gehorsam tatsächlich eine Zeit lang die Bilder sperren lassen – ist dabei schnell selbst geschmacklos, will man doch nur wieder einmal nicht hinschauen müssen und andere dafür kritisieren, aufrütteln zu wollen.
Freilich kommt hier ganz schnell wieder die Frage auf, ob Satire wirklich alles darf oder gar muss. Ja, darf sie – Solange ihre Mittel nicht zum reinen Selbstzweck verkommen. Und das ist in diesem Beispiel eben keinesfalls gegeben. Sicher, auf der einen Seite wird lediglich die grassierende Inhaltsleere der Wahlkampagnen zur anstehenden Bundestagswahl 2017 konterkariert. Das allein aber wäre viel zu selbstgenügsam, um die Verwendung des Motivs zu rechtfertigen. Dass aber mit einem kurzen, prägnanten Kniff derart nachhaltig auf ein sensibles und schwieriges Thema geschwenkt wird, welches ansonsten im momentanen Wahl-“kampf“ so konsequent ausgespart ist; Wie hier all jenen der Spiegel vorgehalten wird, die sich dabei ertappt fühlen, wieder mit etwas konfrontiert zu sein, was in Ignoranz und Selbstherrlichkeit bis zur Nicht-Existenz totgeschwiegen wird; Wie die Heuchelei einer politischen Elite zwischen „Wir schaffen das“ und dem vehementen Beiseiteschieben der eigenen Verantwortung derart schonungslos zu Tage tritt – Das ist nicht zum Lachen, das tut weh, und das muss sein.
Mehr ist dem nicht hinzuzufügen, kurzer prägnanter Wochenabriss, Daumen hoch. Freu mich schon auf den Nächsten.
Du bist gut, von wegen „kurz“ 🙂 Dürfen in Zukunft gerne 1000 Worte weniger sein, wer soll das denn auch alles lesen!?