Mensch, was war denn diese Woche wieder alles los!? Heidewitzka! Wo soll man anfangen? …Nein, ehrlich, kann bitte jemand anfangen? War persönlich derart abgelenkt die letzten Tage, dass ich vom schnöden politischen Weltgeschehen ja mal so gar nichts mitbekommen habe.
Die textliche Momentaufnahme samt innerem Zwiegespräch zwischen meinem vernünftigen und emotionalen Ich habe ich nach tagelangem Hadern zwar zu Papier gebracht, als ich mich endlich zu dem Vorhaben „Du setzt dich alleine in deine Lieblings-Bar“ überwinden konnte. Die Person, der dieser Text gilt, hat ihn dennoch nicht gehört.
Kann man jetzt miesepetrig durch die Gegend existieren, die ureigene Hibbeligkeit kündete aber auch stets von einem weitaus erfreulicheren Ereignis. Einen sonntäglichen Ausflug in die große weite Berliner Welt bei feinster Wetter-Bespaßung, ins Tempodrom zu einer umwerfend-sympathischen Neuseeländerin mit dem schlichten Namen „Lorde“.
Klappe, die Zweite
Wenn man als unscheinbare 16-Jährige aus dem weit entfernten Auenland mit „Pure Heroine“ ein die Grenzen des Mainstream-Pops aushebelndes Debut vorlegt und plötzlich Sprachrohr einer ganzen Generation Teenager ist, die sich selbst eher selten auf der hellen Seite des Lebens wiederfindet, dann kann einen das schon aus der Bahn werfen.
Wenn diese junge Künstlerin dann plötzlich meint, in der Taylor-Swift-Clique erstmal amtlich die Sau rauszulassen, erst gar keine Musik mehr schreiben, dann aber höchstwahrscheinlich ein EDM-Album veröffentlichen zu wollen, dann darf auch der geneigte Hörer skeptisch werden. Verständlich, mit 16 Jahren ist es schier unmöglich, den plötzlichen Starruhm zu verarbeiten. …Außer man heißt Ella Marija Lani Yelich-O’Connor aka Lorde, zieht sich in die heimatliche Abgeschiedenheit zurück und werkelt am Zweitling „Melodrama“, der mit Schulter zuckender Selbstverständlichkeit und Lässigkeit den Vorgänger im Schatten parkt, facettenreicher ist, größer und zugleich intimer, ehrlicher – und der zeigt, dass es diese jetzt 20-Jährige mit dem wallenden dunklen Haar stimmlich mittlerweile gar mit einer Kate Bush aufnehmen kann.
Tingelt man viel durch Konzerte, fällt das Begeistern zusehends schwerer. Wann und ob überhaupt die Vorfreude auf einen Gig einsetzt lässt sich kaum erahnen. Lorde hat das spielend geschafft, weil sie jetzt schon zeigt, wie selbstsicher sie sich zu einer der ganz Großen im Pop-Business hocharbeitet. Also Sachen gepackt, Grinsen aufgesetzt, Sonne geputzt: Berlin! Berlin! Wir fahren nach Berlin!
Busfahrer out of Stasi-Hell
Die neurotische, ultra-pedante Staatssicherheits-Version eines Busfahrers muss mir Flixbus dann bei Gelegenheit dann aber bitte doch erklären. Wie der es schafft, innerhalb einer geschätzt viertelstündigen Litanei uns Mitreisende zu hilf- und nutzlosen Retardo-Kleinkindern zu degradieren, ist mir noch nicht untergekommen. Versucht der ernsthaft uns zu erklären, dass wir auf der Bord-Toilette kein Licht anknipsen müssen, weil das schon an ist? Und dass er ultraböse wird, wenn jemand aus Versehen den fiesen roten Knopf drückt, weil wir das gefälligst zu unterlassen haben? Und dass uns aus X-Y-Gründen horrende Strafen für das Verfehlen grundsätzlich aller Fernbus-Regularien erwarten, die wir nicht als ordnungsgemäß-willfährige Passagier-Lemminge penibel korrekt abnicken und einhalten? Und versucht der gerade in echt uns klar zu machen, dass wir ja schuld sind, wenn der Bus abfackelt? Und dass ihn das ja am Wenigsten stört, weil er hat ja gleich ‘ne Tür neben sich und ist als Erster draußen!?
Meine Sitznachbarin fragt, was aus der guten alten Tradition mit dem Kapitän und dem sinkenden Schiff geworden ist. Überhaupt bringt diese bildhübsche, flüchtige Bekanntschaft den eigenen Entspanno-Meter schnell wieder auf Betriebstemperatur. Mein eigentlicher Kompagnon hat Sendepause, kann dafür zumindest seinen Sonntags-Text schreiben. Ich bin mit dieser witzig-schlagfertigen Person gerade viel zu sehr auf Wellenlänge, als dass mich irgendetwas anderes interessieren würde. Weitere 2 ½ Stunden Busfahrt hätten wir auch noch locker durchgequatscht. Vielen Dank dafür!
Melodrama, Baby!
Zum Lorde-Konzert will sie übrigens auch, so wie geschätzt der halbe Bus – auch wenn man sich bei 4.000 Leuten nicht noch einmal über den Weg laufen wird. Aber hey, wir treffen uns ja sowieso noch mit drei lieben jungen Damen, wenn auch unter recht chaotischen Umständen. Und bald gehört die ungeteilte Aufmerksamkeit ohnehin der Person auf der Bühne. Ein (Melo-)Drama in drei Akten soll es werden, selbstverständlich durchkomponiert bis ins Detail, aber dennoch mit genügend Widerhaken und verschrobenen Momenten, wie sie wohl nur Leute wie Lorde oder Florence Welch hinbekommen, die bei allem Applaus bis heute nicht so ganz verstehen, weshalb sie da überhaupt stehen dürfen und ihnen unzählige Leute zuhören.
Im schwarzen Gothic-Look eröffnet sie als 16-jährige Lorde-Inkarnation den Sturm und Drang ihrer „Pure Heroine“-Phase. Weiß gewandet zeichnet sie im Mittelteil ihre Selbstfindung auf dem Weg zu „Melodrama“ nach, um im wunderschönen blauen Abendkleid schließlich das mächtige, energiegeladene Finale aufzufahren. Da darf sie gerne auch für einen zehnminütigen Monolog inmitten des Bühnen-Settings – mitsamt Schnürsenkel zubinden – Platz nehmen, um zu erklären, welche kathartische Schönheit im Akzeptieren des Allein-Seins stecken kann, um damit zu den berührenden zwei Teilen von „Liability“ überzuleiten. Sie darf, nein, soll auch ungehemmt über die Bühne fegen dürfen – Gerade weil sie nicht tanzen kann, was aber ungleich schöner anzusehen ist, da sie sich gänzlich in ihrer Musik verliert. Musik, die bei „Royals“ Wände und Fußboden beben lässt und über „Perfect Places“, „Team“ und „Green Light“ zur ganz großen Geste ausholt.
Überhaupt ist es phantastisch zu sehen, wie frenetisch ihre neuen Songs aufgenommen werden, wie man gar nicht anders kann, als am Ende völlig verschwitzt den Saal zu verlassen. Und wie sie dabei stets etwas zu viel „Amazing, Berlin!“ in ihre Ansagen packt – auch wenn sie an diesem Abend absolut recht behält, denn das Publikum ist großartig –, man ihr die kindliche Freude und Dankbarkeit aber dennoch zu jeder Sekunde abnimmt. Die Konzertsaison mag jetzt, im Herbst, erst so richtig in die Gänge kommen. Lordes natürliches Charisma und leidenschaftliche Performance werden dennoch schwer zu toppen sein. Sie gehört bereits jetzt zu den wirklich Wichtigen und da ist immer noch mehr möglich. Danke für das umwerfende Konzert. Danke, Lorde!
Amen!
Faszinierende Frau. Magische Musik. Vollendetes Vergnügen. (Alliterationsdrama!) 🙂
Anonymer Alliteraholiker! 😛 Es war aber auch ein feines Konzert, man muss die Dame einfach mögen. Auf ein nächstes Mal, dann mit Writer in the Dark Acapella in seiner Gänze, bitte!
Oh ja, ich bin dabei! 🙂
Wobei sie ja auch ein wenig irre ist, gerade diesen Song nach gut 1 1/2 Stunden Verausgabung noch bringen zu wollen 😉
Wer kann, der kann.