Licht aus, Spot an. Viel Kino gab’s dieses Jahr dank Leipziger Rundum-Versorgung und lieben Film-affinen Menschen im Freundeskreis. Neben Enttäuschungen („The Circle“, mit Abstrichen Sofia Coppolas „The Beguiled“) gab es wie immer viel Absurdes („Free Fire“, „The Square“), Verstörendes („mother!“), positiv Überraschendes („Star Wars Episode VIII“, „Wonder Woman“) und schlichtweg Umwerfendes aus allen nur erdenklichen Genres, wie die folgende Liste der Must-Sees 2017 zeigt:
05: Baby Driver
Musik, Musik, und abermals Musik! Als stilistische Konstante in Edgar Wrights völlig überdrehter Heist-Car-Chase-Musical-Romanze gibt sie den Takt vor, ist immer präsent, bringt die Figuren in Fahrt, lenkt die punktgenau geschnittenen und einen unwiderstehlichen Sog entwickelnden Actioneinlagen genau wie die ruhigen Momente. Jede Einstellung ordnet sich dem allmächtigen Soundtrack-Konzept von Wright unter. Die Inszenierung ist unverschämt cool, die Charaktere sind archetypisch, die One-Liner zackig und die Gewalt überzogen. Wie in den meisten seiner Filme nimmt der Regisseur Versatzstücke bekannter Genres und schreibt sie um für den maximalen Spaß an der Sache, bei der eine packende Handlung auch mal auf der verbrannten Strecke zurück bleiben und die Bühne für ein bestens aufgelegtes Darsteller-Ensemble freigeben darf. Die überraschendste filmische Stilübung 2017.
04: Moonlight
Das wohl berührendste Stück Kino des vergangenen Jahres: Barry Jenkins‘ feinfühlige Coming-of-age-Geschichte beschreibt in drei Kapiteln das Heranwachsen und Sich-selbst-Suchen des schwarzen Außenseiters Chiron, genannt „Little“. Dabei spiegelt das Thema Homosexualität letztlich nur eine der vielen Facetten der ehrlichen und lebensnahen Geschichte wider. „Moonlight“ mag die Härte gesellschaftlicher Realität, Minderheiten-Diskriminierung, Sucht und Armut zu keiner Sekunde aussparen, letztlich überwiegt aber stets der hoffnungsvolle Grundtenor. Er erzählt von Akzeptanz und Selbstbestimmung, kunstvoll und poetisch, in kühlen Farben und eleganter Kameraführung – Ein Indie-Juwel mit ausgefeilten Dialogen und inszenatorischer Klasse und zu Recht mit dem Oscar für den besten Film ausgezeichnet.
03: The Party
Maximilian Bühn, CC-BY-SA 4.0, Sally Potter & Cast Photo Call The Party Berlinale 2017 10, CC BY-SA 4.0
Sally Potters Versuchsanordnung rund um die private Party einiger britischer Links-Intellektueller inmitten der schützenden Wände eines Londoner Upper Class House bietet 71 lückenlose Minuten voll grandioser Dialoge, spitzer Pointen und bitterer Wahrheiten zwischen Missgunst, Verrat, Post-Post-Feminismus und politischer Destruktion, denen keine Mauer standhaft genug sein kann. Die bissige Satire entlarvt spielend alles, was der wohl situierten Oberschicht heilig ist: Zivilisatorische Vernunft, eheliche Aufrichtigkeit, weibliche Selbstbestimmung, Machtgier und Narzissmus unter dem Deckmantel politischer Mitgestaltung. Absurd und himmelschreiend komisch fördert „The Party“ die selbstgefällige Nabelschau parlamentarischer Würdenträger zu Tage, während er sie mitsamt ihrer Intrigen und aufgesetzten Eitelkeiten durch die Manege hetzt.
02: Blade Runner 2049
Nicht oft kann man sich im heutigen Kino derart gebannt in einem meisterlich-erhabenen Bilderrausch verlieren wie in Denis Villeneuves Fortsetzung von Ridley Scotts 1982er Meisterwerk „Blade Runner“. Mit seinem in sich ruhenden Tonfall, den ausgedehnten Kamerafahrten und der gegenüber dem Original noch intimeren Geschichte ist „Blade Runner 2049“ ein Wagnis im Mainstream-Kino. Er verliert gegenüber dem großen Vorbild nichts von seinem philosophischen, jetzt noch menschlicheren Ansatz, während jede Szene und jede Dialogzeile genauso viel Raum erhalten wie sie benötigen. Jared Letos Niander Wallace mag als undefinierte Schablone mit Hang zu Endlos-Monologen nicht überzeugen und der angedeutete Revolutions-Subplot ist eher überflüssig. Dennoch ist der 2017er „Blade Runner“ in seiner stilistischen und narrativen Konsequenz beeindruckend und hat wie sein Vorgänger das Zeug zum modernen Klassiker.
01: La La Land
Ja, „La La Land“ ist eine überlebensgroße und völlig unkritische Verbeugung vor der goldenen Ära Hollywoods. Ja, es ist ein Filmmärchen mit der typischen Dramaturgie jeder besseren RomCom. Und ja, Ryan Gosling nimmt man den Jazz-Pianisten eigentlich nie so ganz ab. Aber sei’s drum: „La La Land“ ist der seltene Fall eines rundum glücklich machenden Feel-Good-Movies mit Herzblut und Leidenschaft. Ein wilder Ritt durch nahezu alle Jahrzehnte Traumfabrik, durchweg charmant und witzig, ohne ins Kitschige abzudriften. Dazu lässt Regisseur Damien Chazelle sein Musical geradezu bersten vor überbordendem Ideenreichtum. Allein die mehrminütige Eröffnungs-Highway-Plansequenz ist ein oscarwürdiges Meisterstück. Stets findet Chazelle Wege, die Musikstücke kreativ und unverbraucht in Szene zu setzen, bevor er in dem groß angelegten Finale technisch und visuell alle Register zieht. Währenddessen tänzeln Ryan Gosling und Emma Stone als perfekt harmonierendes Traumpaar durch die liebevollen Choreografien und farbenfrohen Bühnensets und ziehen den Zuschauer binnen Sekunden auf ihre Seite. Und beim zweiten Anschauen ist „La La Land“ sogar noch besser.
Witzigerweise hab ich mir letztens „(B)La (B)La Land“ ein zweites Mal angeschaut, finde aber noch immer nicht den Gefallen daran, den der Rest der Menschheit beim Anblick nicht ganz so perfekt tanzender und ein wenig atemlos singender Protagonisten entwickelt. Aber immerhin schöne Plansequenz zu Beginn. 😉
Auch bei „Moonlight“ habe ich so meine Probleme mit der Geschichte. Ja, ein schön inszenierter und narrativ konstruierter Coming-of-Age ist der Film durchaus. Allerdings konnte ich mich nie so recht mit der Hauptfigur identifizieren, weil ich dem kompletten Milieu nichts abgewinnen konnte. Und das ist natürlich ein wenig kontraproduktiv, dem Protagonisten nicht folgen zu können, da es den Sehgenuss (der stellenweise gerade auch visuell aufblitzt) etwas einschränkt.
Bei „The Party“ bin ich aber wenigstens ganz bei dir… 🙂
Das konnte ich mir aber denken, dass ich dir bei der Auswahl teilweise ganz anständig gegen den Karren fahre. „La La Land“ habe ich jetzt auch ein zweites Mal gesehen und war noch viel mehr hin und weg, da viele technische Feinheiten jetzt noch mehr ins Auge stechen.
„Moonlight“ wollte wohl nie einen eindeutig identifizierbaren Sympathieträger verkaufen, was bei Coming-of-Age sonst immer die große Krux ist. Ist mMn gerade die Stärke des Films, weil er eben nicht nur Drama auf Gefühls-Ebene ist, sondern diskussionswürdig bleibt.
Zu „Baby Driver“ ist wohl alles gesagt, wie kann man den bitte nicht mögen!? (außer man darf ihn sich wegen Spacey nicht mehr ansehen) Und wer auch nur entfernt mit „Gott des Gemetzels“ oder „Virginia Woolf“ etwas anfangen kann, kommt an „The Party“ unmöglich vorbei…
Ach ja, und ich werde es dir gleich tun und die Blade-Runner-Büchse lieber gar nicht erst aufmachen 🙂