Godspeed und Farewell, Dolores!

Cranberries

Godspeed und Farewell, Dolores!

…und wenn sie nur „Zombie“ kennen, dann lasst sie eben nur „Zombie“ kennen, das ist immer noch mehr als ‚nie von gehört‘. Und wenn diese gut fünf Minuten – ja, vor 20 Jahren durfte man so etwas mit Singles noch machen – des weltweit wohl bekanntesten Cranberries-Songs eines bewirkt haben, dann dass sich die Iren auch bei den Genre-fernen tief im Gedächtnis festgesetzt haben, dass sie irgendwie doch jeder kannte. Und das liegt im Wesentlichen an dieser Stimme: Es gibt sie ja, die Stimmen, die man unter Tausenden erkennt, unter Zehntausenden. Und dann gibt es Dolores O’Riordan. Nicht dass sie je die begnadetste Sängerin gewesen wäre, aber ihre Intonation, Ehrlichkeit und Leidenschaft waren es, die die junge Frau unverwechselbar und einmalig machten.

Durch sie und ihre „Preiselbeeren“ wusste man, dass es auch auf der Grünen Insel Liebe, Trauer und Verlust gab, eine enge Verbundenheit zur Familie – und den Nordirlandkonflikt und die IRA. Denn bei allem Persönlichen und Weltschmerz in guter Gesellschaft ähnlich gelagerter Combos wie „Sixpence none the richer“ waren die Cranberries auch stets eine politische Band. Nicht indem sie sich offen einer ‚Seite‘ zuordneten oder sich kirchlich positionierten – auch wenn das bei der gläubigen Katholikin O’Riordan nahe gelegen hätte. Sondern weil sie die Bestie Mensch an den Pranger stellten und die Sinnlosigkeit des gegenseitigen Zerfleischens enden sehen wollten, weshalb es ein Stück wie „Zombie“ gibt. Auch das ging, in den lang vergessenen 90ern: Zu Weltruhm gelangen und dennoch Haltung bewahren, eine Daseinsberechtigung haben.

Dabei war „Salvation“ vom später erschienen „To the faithful departed“ trotz seines sattsam bekannten Drogenmissbrauch-Themas eigentlich immer der bessere Song, zog die Band in eine deutlich düster-grungigere Richtung als noch auf dem verspielteren Vorgänger „No need to argue“. Trotzdem ist dieses 1994er Album ein verdienter Meilenstein und zweifelsohne eines der besten Alternative-Rock-Alben, neben „Zombie“ mit unkaputtbaren Klassikern wie „Ode to my family“, „I can’t be with you“ und „Ridiculous thoughts“ gesegnet. Und bald gab es ja auch noch das weniger bekannte „God be with you“ (siehe unten) für den Soundtrack zu „The devil’s own“, der trotz Harrison Ford und Brad Pitt eine zwar spannende, aber recht Klischee-beladene Kiste war. Aber dieses finstere „God be with you“, mit seiner flehenden Violine, dem pechschwarzen Bass und den unerbittlichen Kriegstrommeln, das war sicher der größte Moment der Cranberries – ein Moment, der Gänsehaut brachte, damals wie heute. Als sie gegen Ende des Jahrtausends dann „Bury the hatchet“ veröffentlichten, wirkten die Dame und Männer aus Limerick ruhiger, zufriedener, ließen mehr Licht und Hoffnung in ihren Sound. Ein wenig hatten sie ihren Biss verloren, wenn sich auch Lieder wie „Promises“ und „Just my imagination“ bis heute jeder Abnutzung verweigern.

Als die 90er verblassten, verblassten auch die Cranberries. Sie waren ein Kind ihrer Zeit, zum richtigen Moment am richtigen Ort, bis der Streit um Nordirland zumindest offiziell beigelegt wurde und Grunge und Alternative anderen Spielarten weichen mussten. Dass sich die Gruppe inzwischen aufgelöst und vor knapp zehn Jahren wieder zusammen gefunden hatte, bekamen die Meisten wohl eher als Randnotiz mit. Aber so ganz weg waren sie doch nie: Ihr Name, die Stimme ihrer Sängerin, ihre Musik blieben immer greifbar. Vielleicht aus Nostalgie, vielleicht weil sie doch zeitloser waren und sind als man sich das eingestehen will.

Cranberries

Mit nur 46 Jahren stirbt Dolores O’Riordan, eine Frau, die sich über drei Jahrzehnte voll und ganz der Musik verschrieb, die etwas zu sagen hatte, die mit Pavarotti zu „Ave Maria“ auf der Bühne stand. Sie stirbt viel zu früh, unter noch ungeklärten Umständen. Sicher ist nur, sie hatte gesundheitliche Probleme. Eine wirkliche Rolle spielt das aber keine, es ist und bleibt zu früh. Nur, weshalb muss mir das so nahe gehen? Weder bin ich eines ihrer Kinder, noch kannte ich sie überhaupt persönlich. Ist man nicht zu schnell dabei mit dem gespielten Mitleid für eine ferne Figur der Öffentlichkeit, deren Dahinscheiden das eigene Dasein in keiner Weise beeinflusst? Muss man sich nicht schon fast Heuchler nennen lassen, dem Hang zur Sensation hinterher jagend?

Werfe ich einen kurzen Blick auf Facebook, sehe ich auffallend Viele, denen ihr Tod ebenso wenig gleich ist wie mir. Es sind Leute in einem ähnlichen Alter, plus/minus fünf Jahre. Es sind Leute, für die die Songs der Cranberries immer einen wichtigen Fixpunkt in ihrer musikalischen und nicht zuletzt persönlichen Sozialisation dargestellt haben. Und ja, natürlich haben auch mir die Cranberries viel auf meinen Weg mitgegeben. Mit ihnen verbinde ich Musikfernsehen, VIVA 2, Markus Kavkas 2Rock-Charts. Mit ihnen verbinde ich die Erkenntnis, dass laute Gitarren nicht unbedingt gefährlich und gemein sein müssen. Und ich verbinde mit ihnen die Stimme einer Generation, auf die sich alle einigen konnten, die jeden erreicht hat und niemanden unberührt ließ. Und so selbstherrlich es auch klingen mag, es ist wie bei Robin Williams 2014 und Carlo Pedersoli (Bud Spencer) vor eineinhalb Jahren: Mit Dolores O’Riordan geht auch ein Teil meiner Jugend, eine Konstante, ohne die mein Leben ärmer gewesen wäre. Es geht eine Künstlerin, deren Fehlen Lücken hinterlässt. Lücken, die nur das eigene Erinnern schließen können. Godspeed und Farewell, Dolores!

The Cranberries - God be with you (Inofficial Music Video)

3 Gedanken zu „Godspeed und Farewell, Dolores!“

  1. Ein schöner Nachruf, danke. Und obwohl der Stil der Cranberries nicht unbedingt meins war (bitte nicht schlagen 😉 ) muss auch ich sagen, ihre Stimme war einzigartig.
    R.I.P. Dolores

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