Die Review zu „Turbowolf – The Free Life“ ist Teil der Reihe „Klopper der Woche: Die Rock’n’Roll-Sommeroffensive 2018“.
Der Sommer 2018 darf bisher recht viel: Spaß bringen, Mücken verjagen, Regen vergessen – und das nahezu jeden Tag. Deshalb muss man nicht gleich in die nächstbeste Baileys-Bar oder Gabalier-Schunkelbutze springen, aber für schwerfällige Musik und das ganze Zum-Nachdenken-Gedöns bleibt halt auch keine Zeit. Was nicht heißt, das Gitarren nicht dürfen. Die dürfen wohl, so richtig nämlich, Hauptsache nach vorne, ins Gesicht, der guten Laune entgegen. Was gab es bisher 2018? Wo fließt der Starkstrom am Flüssigsten? Vorhang auf für eine neue Reihe: Klopper der Woche – Die Rock’n’Roll-Sommeroffensive 2018!
Turbowolf – The Free Life
Rock’n’Roll / Punk / Psychedelic / Electronica
09.03.2018 -- SO Recordings -- 41:53 min
Wolf im Wolfspelz
Wolfmother, Powerwolf, Wolves in the Throne Room… Wenn eine Band meint, auch morgens schon kraftvoll in Omas Hüftprothese beißen zu müssen, zieht sie zur selbst erklärenden Namenswahl nicht selten den König der brandenburgischen Wappentiere zu Rate. Da weiß man zumindest gleich, die sind nicht gekommen um zu spielen, höchstens um zu bleiben. Und mit der voll auf die zwölf meinen die das auch genau so, halb zerstört ist ja auch nur zwecksaniert.
Turbowolf kommen aus Bristol und machen das alles noch ein wenig engagierter als die oben Genannten. Es verwundert schon, dass sie nach Jahren immer noch als Geheimtipp durch den modernen Rock-Zirkus fanfarieren, gerade da sie nach internationalen Tourneen mit Gehirnsturm-Koniferen wie Death From Above 1979 wenige Türen und Wände zum Einreißen übrig gelassen haben. Denn eines steht fest: Turbowolf ist eine der schweißtreibendsten Live-Bands, die ohne Waffenschein und ärztliches Attest auf ihr ahnungsloses Publikum losgelassen werden darf.
Jetzt haben es solche hyperaktiven Duracell-Mucker ja gemeinhin schwer, ihre Bühnenleistung angemessen auf Silberling oder in Bits’n’Bytes zu konservieren. Live is Life und so! Turbowolf selbst scheint das seit ihrem selbstbetitelten 2012er Debut recht wenig zu kratzen: Verstärker auf 11, die feinste Rumpelproduktion zusammen geschustert und das Gaspedal bis Mittelkante Asphaltnaht gepresst. Schlafen kann man ja immer noch bei der Oma mit den Hüftprothesen.
War der Erstling damals noch genau der ungewaschene, manierlose Punk-Bastard, der er auf dem Bolzplatz schon immer sein wollte, entdeckten Turbowolf auf dem 2015-Nachfolger „Two Hands“ dann die Macht des Songs für sich. Nicht dass sie ihre Medikamentendosis je reduziert hätten, aber stampfende Nackenknacker wie „Solid Gold“ und „Rabbit’s Foot“ spielt man im Delirium auch nicht mal eben runter. Der neue Output der Briten, „The Free Life“, macht genau da weiter und eigentlich alles richtig, dennoch kommt der Opener „No No No“ trotz Wagenladung Fuzz und den Band-typisch dezenten leichten Elektronik-Spielchen nicht so recht aus der Umkleide gepurzelt. Man kennt das halt schon, kennt auch die eigene Erwartung und fängt an, sich Sorgen zu machen.
Zum Glück ist schon mit Song 2, „Capital X“, alles im Lot – Ein kurzes Intro und Klampfe und Drums galoppieren um die Wette, bis ein geradliniger Breakdown den Boden der Tatsachen kurz als solchen zu erkennen gibt. Joe Talbot von Idles hat hier zwar mitgewerkelt, fügt sich aber wie die anderen illustren Gäste harmonisch in den Wahnsinn von „The Free Life“ ein, sodass im nachfolgenden „Cheap Magic“ nicht einmal Sebastien Grainger von den bereits genannten Death From Above-Zwangsjacken die Irrsinnskrone noch höher stapeln könnte.
Während sich die Platte bei 160bpm einpendelt und Luftholen zum Nebenwahlfach degradiert, zelebriert „Very Bad“ dann den ersten von einigen Komplett-Abrissen. Als Dauerfeuer getarnt prescht die Rhythmus-Fraktion nach vorne, während Frontröhre Chris Georgiadis schon ganz schön mutig sein muss, um da noch den Überblick behalten zu wollen. Umso überraschender, wie irgendwann Chantal Brown samt Soulstimme auftaucht und das Tempo rausnimmt, um auf „Halfsecret“ als ersten und quasi einzigen Ruhepol einzustimmen.
Dieses Quäntchen Gnade muss aber auch sein, schließlich folgt im Anschluss und unter Hilfe von Mike Kerr mit „Domino“ der beste Royal-Blood-Song, den Royal Blood nie geschrieben haben – und wahrscheinlich DER Rock’n‘Roll-Brecher des Jahres, den wieder kaum jemand mitbekommen wird. Sei’s drum, hier stimmt einfach alles und davon braucht es nicht einmal viel: Ein paar griffige Riffs, der Bass in der Magengrube, dissonante Solo-Fetzen, Tempo raus, Tempo rein und eine mehrstimmige Hymne vor dem Herrn!
Was danach kommt, die Gitarrenwand von „Last Three Clues“, oder der Kopfnicker digitiert zu Headbanger „Up & Atom“, geht zwar alles in Ordnung, erreicht aber nicht mehr die ungestüme Klasse der ersten Albumhälfte. Steil nach oben zeigt die Motivationskurve erst mit dem räudigen Hüft-Pünker „Blackhole“, der jedoch bald vom Titeltrack-Highlight massiv auf Schubladen-Format gehämmert wird. In sechs Minuten zeigen Turbowolf hier nochmal alles, was sie in der Schule so sicher nicht gelernt haben: Ein nahezu sludgiges Intro, Psychedelica, ventilierende Hardcore-Ausbrüche auf 170bpm, die ganz große Ohrwurm-Geste und breitbeinigen Classic/Folk Rock im übergangslos anknüpfenden „Concluder“.
Rock’n’Roll. So! Nicht anders! An Turbowolf sollte niemand vorbei gehen dürfen, denn mit „The Free Life“ liefern sie die eine Antwort darauf, was man 2018 mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und der geeigneten Rotzstimme anfangen muss, wenn am Ende Spaß und gute Laune stehen müssen. Wer da nicht klatscht, hat auch keine Arme und darf gerne außen vor bleiben: Für alle anderen: Bitte herein, für genügend Reizüberflutung ist gesorgt. Und nur, weil man es nicht genug überbetonen kann: Live! Turbowolf! Live!!
- No no no
- Capital X (feat. Joe Talbot)
- Cheap magic (feat. Sebastien Grainger)
- Very bad (feat. Chantal Brown)
- Halfsecret
- Domino (feat. Mike Kerr)
- Last three clues
- Up & atom
- Blackhole
- The free life
- Concluder
Highlights:
- Capital X
- Very Bad
- Domino (feat. Mike Kerr)
- The Free Life