Vök - Figure
Dream Pop / Downtempo -- 28.04.2017 -- Nettwerk Records -- 33:37 min
Im Halbschatten
So atemberaubend und märchenhaft die isländische Natur auch sein mag, ebenso rau und unerbittlich ist sie auch zu ihren Bewohnern. Monate alles verzehrender Dunkelheit wechseln sich ab mit anhaltendem Zwielicht, zähem Nordwind und eisigem Regen. Und wenn auch Sonnenstrahlen die Insel in ein farbenfrohes Gemälde zu tauchen vermögen, hat es der dicht wabernde Schleier der Schwermut stets leichter, sich in den Köpfen der Menschen festzusetzen. Da wundert es wenig, dass die unwirkliche Wirklichkeit Islands kreativer Raum für all jene Kunstschaffenden darstellt, die sich selbst ungern auf der lichten Seite des Lebens verorten. Die surrealen Klanglandschaften von ‚Björk‘ und ‚Sigur Rós‘ kommen in den Sinn, die erhabene Düsternis von ‚Sólstafir‘, auch den beschwingten Indie-Folk von ‚Of Monsters And Men‘ hat mittlerweile eine drückende Ernsthaftigkeit ereilt.
Seit wenigen Jahren bereichern nun auch eine Frau nebst dreier Männer mit Namen ‚Vök‘ den isländischen Musikkanon Nebel verhangener Bittersüße. Dem Reykjavik nahen Hafnarfjörður entstammend nehmen die Vokalistin Margrét Rán Magnúsdóttir und der Saxophonist Andri Màr Enoksson 2013 an dem jährlichen „Músiktilraunir“-Musiker-Contest der Hauptstadt teil, noch ohne nennenswert eigenes Material im Gepäck. Auf große Resonanz folgten aber binnen weniger Wochen genügend Songs, sodass das Duo den Wettstreit für sich entscheiden konnte. Alsbald durch den Multiinstrumentalisten Òlafur Alexander Òlafsson verstärkt, machte die Band mit träumerischen Soundscapes und mal unterkühlter, mal samtweicher Indietronica schnell auch außerhalb ihrer Götter-und-Sagen-Heimat auf sich aufmerksam. Die EPs „Tension“ (2013) und „Circles“ (2015) sorgten für erste Achtungserfolge, der Song „Waterfall“ mit seinem stoischen Drum Pattern und ohrenumschmeichelnd-hymnischen Keyboards avancierte zum ersten Hit.
Mit ihrem ersten vollwertigen Album „Figure“, für das sich ‚Vök‘ vier Jahre Zeit gelassen haben, öffnen sie ihr elektronisches Klangbild, nehmen häufiger das Tempo raus, gestehen ihren Songs Zerbrechlichkeit zu und halten sie mehr über Atmosphäre und pointierte Soundelemente denn über eine klare Struktur zusammen – geben ihnen so aber auch Raum zum Atmen, was wohl nicht unwesentlich am Percussionisten Einar Hrafn Stefánsson liegt, der mittlerweile das Lineup komplettiert. Schon der Opener „Breaking Bones“ entführt unter die Oberfläche ins Halbdunkel – „Vök“ meint übersetzt in etwa „Loch im Eis“ –, entwickelt über Margréts schwelgerisch klaren Gesang, verschleppt knarzende Synthesizer und tief wabernden Bass ein schummriges Ambiente. Mit dem sanften und zugleich bedrückend langsamen „Floating“, welches die Verlorenheit ziellosen Umherirrens in Klang übersetzt, ziehen die Musiker die Spannung nochmals an. Es sind Songs, die nicht von ungefähr in die Richtung sphärischer Massive Attack schielen – neben Portishead ein erklärtes Vorbild der Band –, dabei aber bedeutend moderner und frischer daher kommen. Anhand teils vertrackter Rhythmik und entrückter Gitarrenlicks wie in „Crime“ kaum verwunderlich dass sie häufiger noch mit „The XX“ verglichen werden. Während letztere aber in ihrem Indie-Minimalismus stets zwischen Garagenecke und Bett pendeln, sind ‚Vök‘ noch immer in den Federn und schauen dem Sturm vorm Fenster in Sicherheit, aber bleiernen Gemüts zu. „Heavier than ever, can I see the lightning storm“ („Lightning Storm“). Selbst hellere Momente wie in “BTO”, („blind to others“) werden von den Lyrics rund um Egozentrik und die traurige Unmöglichkeit, die Welt um sich herum wahrzunehmen, konterkariert: „When you go out of your way, do you think about us?“
Besonderes Highlight auch der Titeltrack „Figure“: Seit Poliça wurde Vocoder als stimmverzerrendes Element und Instrument nicht mehr so effektiv eingesetzt wie hier. Ein Song, der sich gerade durch seinen elfengleichen Refrain lange festkrallt und für dauerhafte Gänsehaut sorgt. Überhaupt ist es dieses Elegische, das ‚Vök‘ abseits aller Querverweise auszeichnet. Ein Wechselspiel aus Licht und Schatten, aus Melancholie und Hoffnung, welches den Hörer umarmt und ihn auf eine schlafwandelnde Reise mitnimmt, in einen Hall-geschwängerten Schwebezustand, wie ihn so wohl nur Kinder Islands zu erschaffen im Stande sind. Natürlich birgt so ein Soundtrack des Augenschließens und Fallenlassens immer die Gefahr, dass die Gedanken kreisen, man sich vom Kern der Musik entfernt. Doch bevor die Feinheiten verschwimmen und das Album droht beliebig zu werden, holt einen die Band mit dem abschließenden „Hiding“ wieder zurück, dem stillen Glanzlicht auf „Figure“ und optimistischem Gegenpol zu seinen neun Kontrahenten. Über eine einsame Pianomelodie, die kaum Zweifel lässt, den Grund des Eismeeres erreicht zu haben, brechen sich warme Lichtstrahlen in überraschend poppigem Finale Bahn. „What are you holding? What are you hiding? Let’s get started on our way”. Der Sturm ist vorüber, der Fall ins Dunkle ausgeträumt, die Sonne scheint auf die grünen Wiesen und Gletscherkuppen, ein neuer Tag bricht an – Mit „Vök“ im Ohr.
- Breaking Bones
- BTO
- Figure
- Polar
- Floating
- Don’t Let Me Go
- Show Me
- Crime
- Lightning Storm
- Hiding
Highlights:
- Breaking Bones
- Figure
- Floating
- Hiding