Mogwai – Every Country’s Sun (Review/Musik)

Mogwai – Every Country’s Sun

Post Rock / Electronica / Shoegaze -- 01.09.2017 -- Rock Action -- 56:07 min

Mogwai Primavera 2011
Mogwai - Primavera 2011

Der gemeinsame Nenner

Wie schwer es sich der Rezensent macht, eine halbwegs adäquate Rezension zu Mogwais neuntem Studioalbum „Every Country’s Sun“ auf die Beine zu stellen. So wirklich warm geworden ist er mit den Glasgower Post-Rock-Veteranen ja nie. Sicher weiß er um die Pioniersarbeit, welche die Band in den letzten gut zwei Dekaden für das Genre geleistet hat. Aber vielleicht kam der Versuch, mit dem 2011er Werk „Hardcore Will Never Die But You Will“ Zugang zum Mogwai-Kosmos zu finden, auch einfach zu spät, hatten sie ihren Sound doch schon längst dem größeren Experiment geöffnet, hatten Ambient und Elektronik Einzug gehalten, wurden viele Songs eher skizzenhaft und auf Gefühlsebene gedacht, als sich der für den Post Rock so üblichen Laut-Leise-Dynamik zu unterwerfen. Mit späteren Outputs wie ihren entrückten Soundtrack-Arbeiten „Atomic“ und „Les Revenants“ wurde das Unverständnis nur noch größer. Am Ende blieben es Einzelstücke wie „Kids Will Be Skeletons“, die in ihrer atmosphärisch dichten Anmut die Größe der Band für Augenblicke nahe brachten. Wie dankbar muss der Schreiberling jetzt sein, dass Mogwais neues Album kaum Mühe hat, die verschlungenen Fragezeichen zu entwirren. Wie wenig dankbar, dass er mit überschaubarer Vorkenntnis an die Truppe herantritt, ihr jüngstes Kind jedoch nicht wortlos vorüber ziehen lassen kann.

Aber auf Anfang: Der beginnt mit „Coolverine“ eigentlich recht vertraut, mit sanftem Synth-Teppich, verschleppten Drums und einsamen Gitarrenlicks, die den Song als Motiv tragen werden. Doch schon hier wirkt das Dargebotene griffiger, strukturierter, auf ein klares Ziel hinsteuernd. Die Instrumentierung erhält schrittweise mehr Raum, ein grummelnder Basslauf übernimmt – und doch überstrahlt stets die für die Band so typisch wohlige Wärme. Auch das anschließende „Party In The Dark“ lässt mit seinen verhallten Vocals und poppiger New-Wave-Ästhetik aufhorchen. Nach der flirrenden Verspieltheit von „Brain Sweeties“ ist mit „Crossing The Road Material“ der Knoten endgültig geplatzt. Fragil, in schwermütigem Mid-Tempo, nimmt sich der Song alle Zeit die er braucht, um in ein umso fulminanteres Finale zu münden. Danach hat es der zurückhaltende Mittelteil vorerst schwer, bei dem Rezensenten auf Gegenliebe zu stoßen, „aka47“ empfindet er bis heute als zielloses Soundscape, eher für Fans des dezent klinischen „Rave Tapes“. Die Urgewalt, mit der Martin Bullochs Schlagzeug den Titel „20 size“ zu einem majestätischen Highlight aufspielt, wird ihm erst nach einigen Durchläufen bewusst.

Doch dann sind da ja noch die letzten vier Stücke auf „Every Country’s Sun“, einer der großartigsten Momente des Musikjahres: „Don’t believe the Fife“ zerstreut alle Zweifel, dass sich Mogwai mittlerweile eher dem Auseinanderdividieren von Ruhe und Sturm hingeben, lieber weniger Instrumente zu Wort kommen lassen, um andere Klangelemente in den Fokus zu rücken. Wie hier behutsam aufgebaute Zerbrechlichkeit in einer doomig-verzerrten Eruption mündet erzeugt pure Gänsehaut. Wie Stuart Braithwaite seiner Gitarre in dem wilden „Battered At A Scramble“ ordentlich Zucker gibt und die Brücke schlägt zu dem 20 Jahre zuvor erschienen rohen Erstling „Young Team“. Wie „Old Poisons“ noch eine Schippe drauflegt, in unbändig punkiger Energie nach vorne prescht und dabei nie die große Geste vergisst – Die Ähnlichkeit zu „Batcat“ mag unverhohlen sein, dennoch der größte Punch des Albums. Und wie dessen Einzelteile im Titeltrack schließlich in einem hymnisch-euphorischen Abschluss kulminieren – Das ist großes Songwriting-Kino. Und auch ein Statement, wo Mogwai 2017 stehen: Am Ende einer Reise des Ausprobierens, Um- und Weiterdenkens, mit Blick auf eine neue Ära, zwanglos und unter neu gewonnener Spielfreude.

So zumindest die Wahrnehmung des Rezensenten, für den die Erhabenheit von „Explosions In The Sky“ immer zwingender war, die schmeichelnde Songdienlichkeit von „God Is An Astronaut“ leichter goutierbar, die elektronische Vertracktheit bei „60daysofstatic“ spannender. Auf „Every Country’s Sun“ zelebrieren Mogwai ein Best-Of des eigenen Schaffens, eine (selbst)zufriedene Rückschau, die nicht jedem schmecken wird. Indem sie ihren bisherigen Output auf einen gemeinsamen Nenner destillieren, reihen sie sich ein in einen Mainstream des Post Rock, dem sie sich sonst verweigert haben. Die Kompromisslosigkeit, mit der sie sich in immer neues Terrain vorgewagt, ihren Soundkosmos erweitert haben, wird in ihrem bis dato wohl zugänglichsten Werk nivelliert. Kalkuliert ist das deswegen lange nicht, doch trotz aller Variabilität sind ein Stück weit jene Kanten abgeschliffen, die ihre bisherigen Alben zu einer Terra Incognita machten, an die man sich herantasten musste. Dem Rezensenten kann das egal sein, er sieht in „Every Country’s Sun“ eine gelungene Achterbahnfahrt moderner Rockmusik, eine der größten Überraschungen des Jahres und kann nun endlich mitreden.

  1. Coolverine
  2. Party In The Dark
  3. Brain Sweeties
  4. Crossing The Road Material
  5. aka47
  6. 20 Size
  7. 1000 Foot Face
  8. Don’t Believe The Fife
  9. Battered At A Scramble
  10. Old Poisons
  11. Every Country’s Sun

Highlights:

  • Crossing The Road Material
  • 20 Size
  • Don’t Believe The Fife
  • Old Poisons
  • Every Country’s Sun
Bewertung 5.0

Mogwai - Coolverine (Official Music Video)

2 Gedanken zu „Mogwai – Every Country’s Sun (Review/Musik)“

    1. Im Großen und Ganzen ja, einzelne Vocal-Tracks haben sie aber seit Jahren ganz gerne dabei, zumindest auf den Studio-Alben. Auf diesem hier sind es zwei Songs, bei „Party in the Dark“ recht präsent, bei „1000 Foot Face“ nur verhallt im Hintergrund.

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