Call me by your name – Review/Film

Call me by your name - Trailer (Official)

Call me by your name

Drama / Romanze

01.03.2018 (D) -- 133 min

R:
Luca Guadagnino

D:
Timothée Chalamet, Armie Hammer, Michael Stuhlbarg, Amira Casar

La dolce vita

Er war der Publikums- und Kritikerliebling bei der 2017er Auflage von Robert Redfords Sundance Festival. Und wenn auch noch in weiter Zukunft, standen für viele die Oscar-Nominierungen für Armie Hammer und Jungstar Timothée Chalamet in den Hauptrollen, für den besten Film und die von Sufjan Stevens beigesteuerten Songs schnell fest. Am Ende langte es nur für Altmeister James Ivory für das beste adaptierte Drehbuch. Und das geht auch in Ordnung, denn bei allem Wohlwollen: So ganz wird Luca Guadagninos neueste Arbeit den überschwänglichen Lobeshymnen nur in Ansätzen gerecht. Zwar verdient die Feinfühligkeit, mit der der Regisseur die Geschichte der intimen Sommerliebe zwischen einem 24-jährigen Amerikaner und einem 17-jährigen italo-amerikanischen Teenager erzählt, lobende Anerkennung. Aber zu oft bleibt seine Verfilmung des gleichnamigen Romans Call me by your name von André Aciman an seiner allzu wohlig glatten Oberfläche haften, mit schönen Bildern von schönen Menschen in sonniger Gemütlichkeit vor traumhafter Schönwetter-Idylle.

Norditalien in den 1980er Jahren, irgendwo zwischen Cremona und Gardasee: Aufgewachsen in einer wohlhabenden Intellektuellen-Familie genießt der 17-jährige Elio (Timothée Chalamet) die Annehmlichkeiten der herrschaftlichen Sommerresidenz seiner Eltern unter südeuropäischer Sonne. Er verschlingt reihenweise Bücher, vereint virtuos Bach und Liszt auf dem Klavier und bandelt bei den abendlichen Italo-Disco-Treffen mit der hübschen Französin Marzia an. Als Elios Vater (Michael Stuhlbarg), ein angesehener Archäologie-Professor, seinen einstigen Studenten Oliver (Armie Hammer) auf das geerbte Anwesen einlädt, um ihm beim Katalogisieren seiner Funde zu helfen, gerät das Gefühlsleben des heranwachsenden Elio aus den Fugen. Mag er es sich auch nicht eingestehen wollen, fühlt er sich doch zu diesem nonchalanten Sonnyboy hingezogen. Er verbringt immer mehr Zeit mit dem hoch gewachsenen Neuengländer, vertraut ihm seine Geheimnisse an und hadert damit, ob der ältere Oliver seine Gefühle erwidern könnte.

Das Kernproblem von Call me by your name ist nicht, dass die geheime Verbindung zwischen Oliver und Elio auf keinen offensichtlichen Eklat zusteuert, im Gegenteil: Erfrischend natürlich wird die Geschichte einer besonderen Liebe unter widrigen Bedingungen transportiert, ohne dass der Umstand der Homosexualität wie so häufig zum problembeladenen Härtefall stilisiert werden würde. Dass sich hier zwei Männer unterschiedlichen Alters näher kommen, spielt höchstens vor dem Hintergrund des reservierten gesellschaftlichen Umfelds der 80er eine Rolle, während die viel zu universelle Geschichte selbst keinen Platz für derlei Nichtigkeiten kennt.

Einen zentralen Konflikt vermisst man dann auch nicht, wohl aber Ecken und Kanten, die das Geschehen erst greifbar werden lassen und aus seinem butterweich polierten Wohlstandskontext reißen. In Guadagninos Werk hat jeder alles erreicht und offenkundig über Monate nichts zu tun, lässt Bedienstete für sich arbeiten, während man in Ruhe Busoni spielen, Marguerite von Navarra rezitieren, Heidegger erklären, Freunde einladen und Dinner veranstalten kann. Würde Call me by your name nicht sein Herz gegenüber der ungewöhnlichen Romanze bewahren, man könnte sich in einem untheatralischen Rosamunde-Pilcher-Universum wiederfinden.

Darunter leiden in erster Linie die Figuren: Es ist das Problem vieler Filme, die Gruppen am Rande des sozial akzeptierten Mainstreams behandeln, dass ihren Protagonisten wenig Kontur und Individualität zugestanden wird. Und auch in Call me by your name besitzen Oliver und Elio keine Biografie, keine ausgefeilten Charakterzüge, da sie alleine über ihren Status der Homosexualität als Projektionsfläche einer gesellschaftlichen Schicht modelliert werden. Es ist das Verdienst der Hauptdarsteller, ihre Rollen dennoch für den Zuschauer als Persönlichkeit erfahrbar zu machen. Mit seiner Mischung aus Aufbegehren, jugendlicher Naivität und innerer Zerrissenheit ist Timothée Chalamet einer DER Shooting Stars der letzten Jahre. Und Armie Hammer spielt wie immer etwas zu glatt, was aber zu seinem lockeren Lebemann nicht besser passen könnte. Gemeinsam agieren sie nuanciert, sinnlich und humorvoll, lassen ihre gegenseitige Zuneigung als unumwundene Ehrlichkeit aufleben.

Call me by your name

Eine Distanz bleibt dennoch: Sie bleibt aufgrund des geradezu außerweltlichen Milieus, in das sich die Handlung bettet. Sie bleibt, weil sich die Akteure in ihren ständigen Diskussionen über Politik, Philosophie und Bildhauerei in einer privilegierten Aufklärer-Blase bewegen, die von vornherein kaum Zweifel an der Akzeptanz homosexueller Beziehungen lässt, aber mit der oft harten, unfairen Realität wenig gemein hat. Der Monolog von Elios Vater (wie immer großartig und grundsympathisch: Michael Stuhlbarg) gegenüber seinem Sohn ist zwar Ausdruck eines über jeden Zweifel erhabenen elterlichen Verständnisses und zutiefst rührend – wird dann aber zu lang und pathetisch ausgebreitet, um seine Wirkung wirklich auszuspielen.

Überhaupt will sich Guadagnino gen Ende noch einmal deutlich positionieren. Call me by your name funktioniert über weite Strecken deshalb, weil er seine Prämisse als selbstverständlich sieht und stiller Beobachter bleibt – auch wenn der Inszenierung an mancher Stelle mehr Dynamik und Finesse nicht geschadet hätte. Doch der Regisseur findet keinen Schluss und will auf der recht langatmigen Zielgeraden mit dem mehrminütigen Close-Up Elios, untermalt von Sufjan Stevens‘ „Visions of Gideon“, der ganzen Dramatik zu großes Gewicht verleihen.

Das heißt nicht, dass Call me by your name kein aufrichtiger, berührender Film wäre. Nur sollte anno 2018 allein das unaufgeregte Porträt einer homosexuellen Liebe aus einem guten Werk noch keine Weltklasse machen. Dass er dennoch so wahrgenommen wird, hinterfragt unser Verständnis eines toleranten, modernen Gemeinwesens. Abgesehen davon jedoch ist Call me by your name aber einfach wohliges Feel-Good-Kino mit Seele und Anspruch und kann jedem offenherzigen Menschen ohne Umschweife nahe gelegt werden.

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