Ein (un)möglicher Härtefall
Ja ist denn schon wieder Frühjahr!? Schon wieder 2018!? Schon wieder Oscar!? Das Welt-imposanteste Wettschaulaufen gleich nach der Rosenmontags-Prozession in St. Gallen. Und schon wieder wird es nicht einmal mehr für ein müdes Schulterzucken genügen, wenn das fluffige Selbstbeweihräucherungs-Gewässer an dem ungeneigten Blogger vorüberzieht. Ellen DeGeneres und Billy Crystal sind auch nicht mehr dabei, um noch einmal süffisant und folgenlos gegen die Republikaner zu schießen. Die Realität hat die Satire ja auch schon längst überholt.
Es liegt auch wenig daran, dass in dieser Perfektionierung des Schema F (für Film!) wieder die üblichen Verdächtigen die lange Nase vorn haben werden. Pixar gewinnt den Oscar für Animation, ein Musical wird „Bester Song“ und Daniel Day-Lewis zieht im letzten Moment an Gary Oldman vorbei, weil er sich wieder zur Ruhe setzt.
Nein, es ist vielmehr die allumfassende Instrumentalisierung und Politisierung des einstigen gehaltsflachen Feel-Good-Glitters, die die Veranstaltung zu solch einer Unmöglichkeit machen. Weil jeder mittlerweile Stellung beziehen muss, Haltung bewahren soll und immer ein bisschen korrekter zu sein hat als alle anderen. Das Jahr davor herrschte noch die Diskussion – incl. Aufbäumen und Boykott zur Komplettierung des Triumvirats – um die gerechte Berücksichtigung der schwarzen Darsteller und Filmschaffenden bei der Preisverleihung. Und jetzt hysterisiert sich Hollywood seit Monaten in größtmögliche Rage und zelebriert die eigene berufsbedingte Theatralik bis zum Erbrechen. Man darf nicht davon reden, erst recht nicht darüber schreiben, aber was soll’s. Es wird Zeit…
Ein unmoralisches Angebot
#metoo. Natürlich. Mit dem Schweinehund Weinstein fing es an, sein Unternehmen ist mittlerweile bankrott. Schade für die vielen kleinen Mitarbeiter, die von den moralisch abartigen Praktiken des obersten Chefs ja mal so gar keine Ahnung hatten. Frauen sollen jetzt übrigens die Firmenleitung übernehmen. Warum eigentlich? Um das Stigma des Namens Harvey S. mit sich herum zu tragen? Das ist kaum ein Statement, sondern schlicht fragwürdig. Aber wirksam. Hollywood eben.
Was seither in der Geschichte um Machtmissbrauch und sexuelle Nötigung alleine im Filmgeschäft zu Tage gefördert wurde, füllt Folianten und Bibliotheken. Und ist von einer derart giftigen Schwarz-Weiß-Malerei durchzogen, die jeden ad hoc anprangert und zur Hexenjagd freigibt, der zumindest hinterfragt. Die alles abblockt, nur eine gültige Rechtsprechung kennt. Gibt es schon Neuigkeiten im Fall Spacey? Oder ist es mit der Wegrationalisierung seiner Person für’s Erste gegessen? Wurde die Dame, die James Franco angegangen hat, irgendwann gefragt, warum sie ihre Unterschrift unter einen Vertrag mit Nacktszenen für 100 Dollar am Tag gesetzt hat?
Wollte sie vielleicht ein bisschen schnell berühmt werden? Und ist jetzt vielleicht eine von den vielen, die das Thema dem eigenen Aufmerksamkeitsdrang opfern und beiläufig all jene die Klippe hinunter werfen, die nicht sprechen? Die nicht sprechen können, sich nicht trauen, weil sie wirklich betroffen und traumatisiert sind? Die in diesem großen Hollywood-Drama ungehört untergehen, weil man sie längst vergessen hat, weil sie sich nicht so passabel medial präsentieren (können)? Denn um eine Aufarbeitung dieser Missstände geht und ging es doch zu keiner Sekunde. Es ist und war eine sensationsgierige Hatz nach dem nächsten großen Aufreger, bei dem es sich immer noch ein wenig bequemer positionieren lässt. Und die diesjährigen Oscars bilden die Kür, das Grande Finale, den letzten großen Akt, bevor alles wieder auf Werkseinstellung gesetzt wird. Vorhang! Aus!
Eine verhängnisvolle Affäre
Es ist diese ultra-engagierte Überkompensation, welche der Verleihung der Oscars 2018 zum großen Verhängnis wird. Denn konzentriert man sich auf das Wesentliche, nämlich die Filme, merkt man, dass es ein ziemlich gutes Jahr war. Selten konnten so viele Werke so großes Interesse wecken, wurde den kleinen Produktionen so viel Platz zum Glänzen gegeben. Eine Entwicklung, die irgendwann zwischen dem großen Sandalen-Epos Gladiator und dem introvertierten Episoden-Drama L.A. Crash seinen Anfang genommen hat und bis heute anhält.
Beispiel: Unter den neun Nominierungen für den besten Film sind mit Dunkirk und Spielbergs The Post nur zwei Beiträge, die das Kriterium des Gewaltigen und Stargespickten halbwegs erfüllen. Und auch die müssen sich vor Erstklassigkeiten wie Gary Oldmans Tour de Force in Darkest Hour, dem kongenialen Dreamteam Paul Thomas Anderson / Daniel Day-Lewis in The Phantom Thread oder dem in allen Belangen meisterhaften Three Billboards outside Ebbing, Missouri nicht verstecken.
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen: Lady Bird, The Shape of Water, Call Me By Your Name, dazu Baby Driver und Blade Runner 2049 verdient in den technischen Bereichen. Viel Value for Free TV! Aber dann blickt man kurz auf die Übersicht bei CNN (Link unten) und angesichts der prominent anspringenden Mono-Thema-Meldungen kommt einem der Kaffee schon vor dem Aufbrühen wieder hoch: Meryl Streep mit den meisten Nominierungen aller Zeiten, die erste Frau für Cinematography, Octavia Spencer mit ihrer Nominierungs-Serie, Greta Gerwig für ihre Regie, 40 Frauen außerhalb der Schauspielerei in „traditionell männlichen Kategorien“ (sic!) …
Natürlich haben es die Damen alle verdient. Jede Frau, jeder Mann, jede Schwarze, jeder Weiße, alle Chinesen, Brasilianer, Inder und so fort. Aber das genügt nicht. Es muss wieder etwas anders sein, neu sein, richtiger und fairer sein als zuvor. Gut, es ist Hollywood, es ist Theater, die ganz große Bühne. Was will man erwarten? Und so ein kleines goldenes Blechzäpfchen sollte nie den Platzhalter für Qualität darstellen. Aber Interesse oder gar Lust, sich das über quälend lange Stunden mitten in der Nacht anzutun, die verspürt man dabei so gar nicht. Ich für meinen Teil gehe in den nächsten Tagen noch in The Shape of Water und Call Me By Your Name. Beide wurden nicht von einer Frau gedreht, in einem davon spielen Frauen nicht einmal eine Rolle. Andererseits geht es um Homosexuelle … und Fischmenschen. Vielleicht genügt das ja.
Mein Senf:
Die Veranstaltung und das ganze Brimborium drumrum inklusive Verleihung und den „Gewinnern“ selbst, waren, sind und werden für mich immer eins sein : „Flüssiger als flüssig….“ . Naja, wenigstens sind diesmal ein paar Filmvorschläge (ne andere Bedeutung hat der güldene Briefbeschwerer für mich nämlich nicht) dabei mit denen ich auch was anfangen kann, dazu zähle ich übrigens sämtliche nominierten Filme in allen Kategorien.
Werd mir das ganze mal auseinanderklamüsern und bin mal gespannt wie sich die einzelnen Werke in meine drei Oberbegriffe einordnen: 1.gucken muss !, 2. Vielleicht, wenn ich Bock hab. und 3. Uninteressant !
Was #MeToo angeht, ich hoffe das ganze hat gerade erst begonnen. Es wird für meinen Geschmack noch viel zu sehr an der Oberfläche gekratzt, Bin gespannt, was da noch so alles ans Tageslicht geholt wird, mal sehen. Es werden, denk ich mal, noch mehr solche widerlichen Gestalten wie Weinstein dabei über die Klinge springen, wär kein Verlust.
man liest sich^^
Ich glaube ja, die Debatte ist schon längst durch, bevor sie überhaupt sinnvoll anfangen konnte. Und am Ende stehen Einzelpersonen – wenn auch gerechtfertigt – am Pranger, ohne dass sich mit dem strukturellen Problem auseinandergesetzt worden wäre. Das Filmbusiness ist dafür eben auch prädestiniert: Ein Haifischbecken, kaum Chancen ohne Connections. Auf der einen Seite Leute, die das schamlos ausnutzen, auf der anderen Seite die, die vieles bewusst für Berühmtheit in Kauf nehmen.
Und ja, so ein bisschen gespannt bin ich trotzdem, wer heute Nacht abräumt. Nur anschauen muss ich es mir auf keinen Fall 🙂
Lg
Okay. Sam Rockwell und die gute Frances haben immerhin gewonnen. Da kann man verkraften, das „Three Billboards“ nicht Best Picture geworden ist. Mal abgesehen davon, dass das Best Picture des letzten Jahres ja nicht einmal nominiert war. *leisemotherwispere*
Ja, war gestern noch in Shape of Water. Klar, dass die Academy den mag. Ein Märchen, an dem an allen Enden der großen vergangenen Kino-Ära gefrönt wird. Leider nur sicher nicht der beste Film. Darsteller und Set Design großartig, die laue Story das übliche Del Toro Problem. Ausführliche Kritik kommt bald…