Nur noch 5 Minuten, Mutti! Ich muss noch eben nach Undvik auf Eisriesen-Jagd, der Jarl zählt auf mich. Und Dandelion finden, wer soll denn sonst meine Biografie schreiben? Und dann noch kurz in die Passiflora, ausspannen bei ein paar willigen Dirnen… Nein, Mutti, nicht in echt, ist nur XBOX. Hier, siehst du? Witcher heißt das. Ich spiele gerade Karten gegen diesen schmierigen Nilfgaarder Garnisons-Hauptmann. Was? Nein, der gewinnt nicht. Ja, der hat mehr Punkte. Aber wenn ich Yennefer lege, hole ich mir Spion Thaler aus dem Stapel. Mit etwas Glück bekomme ich dann noch eine Ballista. Den Belagerer-Foltest als Kommandanten-Horn nachgelegt, zum Schluss mit Klirrende Kälte den Sack zugemacht. …Nein, das musst du wirklich nicht verstehen. Hat ja auch bei mir lange genug gedauert. Offensichtlich werde ich langsam genauso alt wie du…
Nerdistan
Es gibt Gründe, warum Gaming-Rezensionen entgegen der ursprünglichen Idee nicht ihren Weg in den Blog gefunden haben. Nicht, weil es nerdig wäre, da liegt die Hemmschwelle weit unter Par. Im Gegenteil: Neben der auch für Film, Musik und Buch üblichen Stangenware gibt es allerhand positive Beispiele, die zeigen, wozu das Medium Videospiele in der Lage ist und was es anderen Medien voraushat. Einen andernorts nicht zu erreichenden immersiven Effekt als interaktiver Teilhaber einer Erzählung, einer eigenen Welt. Und immer wieder beweist gerade der Indie-Bereich in den letzten Jahren, wie mit Crowdfunding, Self Publishing und ein paar Kreativen narrative Maßstäbe in dem Sektor gesetzt werden können. „Gone Home“, „Firewatch“, das umwerfende „Life Is Strange“. Und wie die Relevanz von Handlung, Figurenzeichnung und innerer Kohärenz auch bei den hoch budgetierten Mainstream-Titeln ankommt: „The Last Of Us“, „Heavy Rain“, „The Last Guardian“, um nur wenige zu nennen.
Und natürlich „The Witcher“, aufbauend auf der mehrbändigen Hexer-Saga des polnischen Schriftstellers Andrzej Sapkowski, und allein mit dieser Basis schon viele Konkurrenten im Open-World-RPG-Bereich hinter sich lassend. Dazu ein talentiertes Team bei CD Project Red, das weiß, wie es den erwachsenen, dreckigen Tonfall der Vorlage einfangen und mit zynischem Humor anreichern muss, um eine glaubwürdige, nachvollziehbare Fantasy abseits von Kitsch und glorifizierenden Helden-Mythen zu erschaffen.
Und genau darin liegt für den arbeitenden Pöbel die Krux bei Hexer und Konsorten. Diese Spiele sind riesig, immens, gewaltig. Zeitfresser bis weit in den dreistelligen Stundenbereich, ohne nennenswerte Abnutzungserscheinungen. Natürlich macht gerade das den Reiz eines Rollenspiels aus: Viel Value for Money zu bekommen, über Monate einen treuen Begleiter zu haben, in den man binnen Minuten hinein fallen kann, der aber so vollgestopft ist mit kleinen Aufträgen, Nebentätigkeiten und wenig zielführendem Nonsens, dass er auch für die 2-3 Stunden zwischendurch taugt.
Der Hexer und wie er in die Welt (dieses Blogs) kam
Nur schreiben kann man darüber nicht, wann denn bitte!? Zwischen Job, Freundin, Freizeit, Haushalt, Blog, dass man geradezu mit dem ein oder anderen gebrochenen Knochen d’accord gehen würde, um nur die 24 Stunden eines Tages möglichst uneffektiv verzocken zu können? Und bei dem Tempo schafft man auch nicht mehr als zwei Veröffentlichungen im Jahr, alles Beliebige und Enttäuschende wird schon vorher ausselektiert – Viel zu viel Zeit, die man sich nicht zurück holen kann. Und für die übrigen Perlen bleibt am Ende nichts als gähnende Lobhudelei.
Nur ein Schlupfloch bleibt: Schlaf! Der wird überbewertet, ist flexibel anpassbar und nur in Notfällen lebenswichtig. Okay, und der Haushalt kann ja auch mal ein paar Tage liegen bleiben, der Blog hat auch noch Texte in Reserve und die Süße darf ruhig mal mit zuschauen. Also alles doch halb so wild, Politik ist Nebensache, Trump darf gerne alleine auf den Mars fliegen, da werden ihm die wenigsten böse sein. Und wie eine dysfunktionale Regierung als erste Amtshandlung ihre Diätenerhöhung für 2018 durchboxt, dürfen auch gerne andere klären.
Ich für meinen Teil bleibe die Woche hängen, proaktiv und selbstbestimmt, im fliegenden Wechsel zwischen Arbeit und Controller. Ich ziehe los und suche weiter inmitten der Überreste des ehemaligen Temeriens und Redaniens nach meiner Ziehtochter Cirilla. Stelle mich Waldschraten, deren Kragenweite meine um einiges übersteigt. Sammle die fehlenden Teile der verbesserten Greifenrüstung, die drei Level später schon wieder hinfällig ist, wird man doch mit kunterbuntem Kleidungs-Schmonz im Dutzend billiger zugeschüttet. Und spiele bis zum Erbrechen dieses vermaledeite Gwent, bis ich alle Kartendecks beisammen habe. Pokebälle sind nichts dagegen.
Die obligatorische Lobhudelei
Es ist aber auch ebenso groß wie großartig, dieses „Witcher 3: Wild Hunt“. Düster, witzig, liebevoll erzählt, ungemein motivierend. Und in seiner Vorstellung eines alternativen Mittelalters erfrischend ehrlich! Weil es sich nicht lediglich an Intrigen und Machenschaften der gehobenen Stände ergötzt, während die Plebs am unteren Rand sehnsüchtig auf ihren Heiland wartet. Sondern weil es Krieg und Diplomatie in all seinen Graustufen zwischen Recht und Unrecht zeichnet und mit Geralt of Rivia eine ambivalente Hauptfigur mit Charakter und ganz eigenen Zielen in das Geschehen wirft.
Auch weil es schwierige Themen wie Rassismus und Missbrauch offenherzig angeht anstatt nur beiläufig vorüber zu ziehen. Weil es ein komplexes, literarisches Universum akribisch in Software-Form gießt, dabei die vielen Redundanzen und Überflüssigkeiten anderer Open-World-Titel meist ausspart, vielmehr nah an seinen Figuren bleibt und etwas zu sagen hat. Und weil es eine Lanze bricht für Videospiele als Kunstform und zugleich große Ausrufezeichen setzt.
The Long Goodbye
…Und Ach, wie schön hätte es werden können. In horizontale Couchlage befördert durch plötzlichen Anfall von Krankheit. Ein Ründchen vor sich hin sterben und auf Besserung warten. Grippe kommt, Grippe geht und dann vielleicht noch ein paar Tage Zeit für die RPG-Rundum-Sorglos-Packung. Doch, oh weh! Siehe da, die Xbox, sie ist ein Miststück. Fordert nach Updates und will sie dann nicht. Zwingt zum Werkseinstellungs-Reset. Speicherstände beibehalten? Ja, bitte! Blöd, wenn das nur die Daten in der Cloud betrifft und eine Netzanbindung beim Witcher schon seit etwa Spielstunde zehn nicht mehr bestanden hat. Und dann ist man an dem Punkt: Mag es noch so viel Spaß machen, aber keine Chance: Nie im Leben können 130 Stunden in den Grenzen eines handelsüblichen Tag-Nacht-Zyklus wieder reingeholt werden. Ich kapituliere! Glücklicherweise ist bei Rollenspielen der Weg das Ziel und den habe ich ziemlich weit beschritten. Dennoch, ein Quantum Wehmut bleibt…
Jetzt kauere ich in den dunklen Ecken eines herunter gekommenen Anwesens in den Bayous von Louisiana und hoffe, dass mich Daddy Jack aus der augenscheinlich wahnsinnig gewordenen Baker-Sippschaft nicht entdeckt. Und auch einem weiteren Treffen mit den Teer-artigen, scharf bezahnten Molded blicke ich eher skeptisch entgegen. Und das ist so positiv gemeint wie irgend möglich: Eine effektivere Ablenkung vom Hexer-Debakel kann ich mir momentan kaum wünschen. Denn Capcom hat es nach langen Jahren gebrochener Versprechen endlich geschafft, den Horror und die Anspannung zurück in das traute Heim zu bringen.
Resident Evil VII ist gerade deshalb so gut, weil es anstrengend ist. Weil es hier und da Überwindung kostet, weiter zu machen. Wie damals, in den guten alten 90ern. Damals, als man daneben auch noch Zeit für Freizeit vernichtende Open-World-Games hatte. …Verdammt, da ist es schon wieder. Nein, nicht gut! 10 Stunden-Survival-Horror – Finale – Abspann – Aus! Damit kann ich leben. Also, zumindest bis Herbst. Beim Teutates und Emhyr var Emreis: Red Dead Redemption 2 werde ich mir nicht nehmen lassen. Und wenn die Konsole aus dem Fenster springt! Hugh, ich habe gesprochen!
Sehr schön geschrieben, vor allem spoilerfrei 😉 , keine Ahnung wie ich in solch einem Moment reagiert hätte. Hab Herrn Geralt noch vor mir, mal schauen wie lange ich da dran hänge. Hut ab, sich dann als „Ausgleich“ Resi 7 zu Gemüte zu führen, bin für Horror glaub ich schon zu alt. ^^ LG
Es war halt das Erste, was mir mit überschaubarer Spielzeit ins Auge gefallen ist. Und in seiner endlich mal wieder düsteren Survival-Ausrichtung auch ziemlich vereinnahmend. Und du spielst jetzt endlich Witcher 3. Danach brauchst du auch keine Zeit mehr für andere RPGs aufbringen, man hat eh alles Wichtige schon gesehen 🙂
Die Namen und Orten und alles drumherum sind für mich böhmische Dörfer. Aber sowas von.
Aber solange du Spaß hattest (trotz Spielstundenverlusten), ist ja alles im Lot.