Die ganz normale Ahnungslosigkeit
Erster Urlaubstag. Muss so gegen 7.30 sein. Erster(!) Urlaubstag! Kann auch anders laufen. Aber gut, die letzte Schicht ist ja auch noch keine 12 Stunden alt, weil man so ultraschlau war, sich bei den mannigfaltig Gott gegebenen – also vom Reiseveranstalter offerierten – Terminen für den lsland-Trip natürlich für das „Ach, ich pack das schon und kriege das noch irgendwie dazwischen geschoben“-Modell zu entscheiden. Nach den 8 Tagen bleibt ja schließlich noch ein ganzes Wochenende, wie viel mehr Entschleunigung kann man schon brauchen.
Reisepass? Check! Ach nee, Europa. Ist zwar ganz weit draußen, aber brauchste ja nicht. An alles gedacht? Hätte mir vielleicht doch die Zeit nehmen sollen und ‘ne Liste machen. Nee, auch Quatsch, warst ja bis zum Schluss arbeiten, du Kernphysiker unter den Waldorf-Kindern. Pflanzen? Mmhhh, sind streng genommen eh schon tot oder für baldiges Ableben zumindest gut aufgestellt. (Schöne Grüße dabei übrigens an meine Last-Konifere-Standing am Balkon.) Kaffee? Joa, wäre schön gewesen. Wird substituiert durch Apfel, gibt ja nichts Wichtigeres als ein reichhaltiges Frühstück, wenn man für den Großteil des anerbrochenen Tages seinen Allerwertesten in Freiraum-Grenzgebiete wie Straßenbahn, Flixbus, Schlange am Check-In, Schlange vorm Gate, Billigflieger etc. quetschen wird. Und überhaupt, so kote doch der Hund darauf, der Kompanion-in-Crime will kurz nach 8 vom Hauptbahnhof eingesammelt werden. Also, raus aus den Folien-Kartoffeln und ab in die Stadt. Aber ernsthaft, ob sich das so alles lohnt? Was kann uns außer bärtigen, meist männlichen Isländern, schlechtem Wetter und überteuertem Bier schon erwarten? Leipzig ist aber auch mal wieder schön heute. Naja, semi-schön. Oder fängt das gleich an zu regnen? Schon wieder… Das geht doch gleich los, ich weiß doch wie das aussieht, brauchst mir doch nichts erzählen. Okay, jetzt ist Urlaub, ist wohl doch ganz gut so.
Ein Opus in güldenem Grau
Der Flixbus ist pünktlich, jetzt hab ich alles gesehen – und schief gehen kann schon gar nichts mehr. Der Fahrer ist nicht nur ‘ne echt lässige Socke, der in einem anderen Leben vielleicht Werbetexte eingesprochen hätte oder der Puffvater im männlichen Telefonsex-Hospiz geworden wäre, nein, er zeigt uns netterweise auch gleich das wunderschöne Leipziger Umland, die traumhafte Anhaltiner…. naja, Gegend halt, das Brandenburg Valley gibt’s als optische Kaiserkirsche oben drauf. Gut, was soll er auch machen, er muss halt nach Berlin-Schönefeld, da gibt’s nur Brache. Er könnte sich mit seinem Vielpersonen-Schiff natürlich auch abseits der katalogisierten Überland- und Schnellstraßen Bahnen ins Gemüse schlagen, aber außer deutlich gesunkenen Überlebenschancen für alle Mitgeschliffenen gibt’s da ja auch nicht mehr zu entdecken. Zumindest rückt das die Perspektive für einen notwendigen Tapetenwechsel per Urlaubschaos wieder in ein positives Licht. Tief philosophische Gespräche mit meinem Mitstreiter irgendwo zwischen „Was machen wir eigentlich, wenn wir dort sind und haben wir überhaupt irgendeinen Plan?“ und „Wo steht das neue Lorde-Album so auf einer Skala von 9-10?“ verkürzen den Adrenalin-geschwängerten Tour-de-Force-Ritt.
Ach stimmt, der Mann an den Omnibus-Instrumenten fährt uns ja nach Schönefeld International Airport. Wohl das einzige Areal, welches auch in der DDR offen und gerne den Stempel „Sozialistische Misswirtschaft“ verpasst bekommen hat. Wenn man sich überlegt, dass dieser Stahlbeton-Unfall für Millionen Zureisende den ersten Eindruck von Berlin und Deutschland darstellt, dann ist das erst peinlich, dann kurz kopfschüttelnd witzig und dann wieder sehr lange sehr peinlich. Man darf da zu den Gates hoch, also mit Rolltreppe, aber runter nur wieder per Fußtreppe. Ich frage mich bis heute, ob das noch jemandem aufgefallen ist. Ein (in Zahlen: 1) überteuerter Kaffee-Schuppen langt für das ganze Terminal, über elendig lange elendig graue Gänge geht’s vorbei an ‘nem schäbigen Irisch-Pub-Versuch (Und ich bin bei Pubs sehr nachsichtig) in weitere noch grauere und engere Gänge, die als trister Kommentar zur Ausweg- und Hoffnungslosigkeit allen Irdischen schon fast wieder Kunst wären, wenn sie denn nicht weg könnten. Über die wohl dreckigste Toilette außerhalb Schottlands, die wir aus natürlichen Zwängen in dieser bunkeresken Trostlosigkeit aufsuchen müssen, kann man nicht mal den Mantel des Schweigens legen, den ätzt das sowieso gleich weg. Rund 30 Sitzplätze symbolisieren schieren Größenwahn für das Warte-Gehöft, in dem sich jetzt wohl 200 Menschen unterschiedlichster Herkunft und Couleur, aber allesamt mit erkennbar kurz-vor-knapp brennender Lunte tummeln und sich noch nie derart auf den Luxus einer isländischen Billig-Airline ohne Fuß-, Bein-, oder Irgendwas-Freiheit und OHNE FREIEN KAFFEE gefreut haben.
Nur Radeln ist schöner
Wow, Wow Air. Na ein Glück, dass ich heute Morgen schon keinen Kaffee hatte, sonst würde ich in den nächsten Stunden noch was vermissen. Die isländischen Flug-Beisitzerinnen und nebenberuflichen Vollblut-Choreographitösen wiederum machen einen optisch durchaus Interesse weckenden Eindruck, der Punkt mit der ausschließlich behaarten Islandspopulation bedarf wohl etwas Feinjustierung. Die Airline ist jung, das heißt die Flieger sind neu, das freut wiederum das Gemüt, welches sich bis heute mit dem Gedanken des mehrere Tausend Meter hohen Fortbewegens ohne Schienen, Pedale oder ohne zumindest erkennbar mit den Flügeln zu schlagen nicht gänzlich anfreunden kann. Ja, gut, das Starten macht schon Spaß, ist ja auch bisschen wie Achterbahn, nur dass diese dann nicht stundenlang ergebnisoffen durch Blue Screens zirkelt und darüber hinaus ohne das Abfedern eines utopisch Zigfachen der eigenen Gewichtskraft auch recht entspannt im Erlebnistourismus-verstopften Sammelbecken zum Erliegen kommt. Und billiger isses auch, zumindest etwas!
Das naturgemäß eher langweilige Hochluft-Existieren lockert dann tatsächlich das Airline-interne, 50 Seiten schwere Bespaßungsprospekt merklich auf, stürzt es sich doch nicht nur aasgeigergleich auf alle bekannten und unbekannten Möglichkeiten, im Flug seine letzten großen Hausgeldscheine in kulinarisch wertvolle Snickers-Presspackungen und andere seit der Erfindung des Mindesthaltbarkeitsdatums kulturell verschollene Mikrowellen-Gaumenfreuden zu investieren. Nein, man erfährt auch schon einiges darüber, was an tollen Schauwerten auf diesem als eher trostlos erwarteten Eiland auf den unbedarften Beobachter wartet – der natürlich noch der Meinung ist, das sei doch eh alles nur gephotoshopt – Ein Narr und Kleingeist, nur das weiß er ja noch nicht. Man erfährt auch, dass die Airline so bildliche Modellbezeichnungen wie Mom, Dad, Kid und Gay hat. In welche submediterranen Regionen dieser letzte Typus vorsticht, konnte ich aber nicht in Erfahrung bringen. Viel wichtiger, dass diese kleine ulkige Broschüre gleich noch einen amtlichen Kneipen-Guide durch Reykjavik parat hält. Es gibt also eine Lebowski-Bar. Ein Areal, welches sich in Getränkeauswahl und Ambiente zur Gänze dem Dudeversum verschrieben hat und angeblich irrsinnige 23 White-Russian-Kredenzien für den ahnungslosen Hobby-Alkoholiker bereit hält. Mehr musste ich dann auch nicht lesen, Kultur *blah*, wo die alles noch so hinfliegen *blubb*, ich stupse lässig aber bestimmt und wieder- und wiederholt meinen Nachbarn (der glücklicherweise tatsächlich mein Mitreisender ist) ins Seitenkreuz und tippe wie nicht gescheit auf dem Hochglanz-Pamphlet herum: „Da…da…da MÜSSEN wir hin!“. Das Urlaubsbarometer zeigt 100%.
Herr Ober, da steckt eine Sim-Karte in meinem Donut
Landeanflug, womit wir wieder bei dem unnatürlichen Vorgang des Fliegens sind, dieses Aufsetzen kann um Odins Willen so nicht funktionieren. Nicht mehr als 1-2 mal, dann muss der rundnasige Beförderungs-Plastekasten doch aus dem Verkehr gezogen werden. In jedem Fall macht Keflavik International Airport einen spürbar zivilisationäreren Eindruck, nicht nur gegenüber Tegel und Schönefeld, sondern ganz allgemein. Einen Dämpfer versetzt dann aber doch die streng genommen recht süße Europcar-Mietwagen-Regulierungshilfe. Einmal recht unfreundlich und genervt bitte: Ja, wir haben alles verstanden, Ja, aus dem Flughafen und dann links, Ja, wir lesen das Europcar-Infomaterial (Haha!), Nein, die Zusatzversicherung brauchen wir nicht, pffff… Wie blauäugig man sein kann, die hat unsere Nullcheckung doch über die Haut gespürt und wollte helfen. Trotzdem blöde Zippe, wir sehen uns wieder! Eine Sim-Karte soll’s noch sein für Fotos und anderen Blödsinn ins Internetz schaufeln. Also schnell die SimInn Daten-Sim bei Dunkin Donuts gezogen – das kann ich jetzt nicht erklären, ich verstehe die kausale Verbindung aus Handy-Zubehör und fettigen Ami-Teigtaschen bis heute nicht – und raus aus dem Flughafen auf isländischen Götter-, Sagen- und Schafe-Boden…
Schönes Präpositionum, Prädemonstratium, ääähhhh Präludium. Immer diese Fremdwörter.
Das mit Dunkin Donuts und SIM-Karte hab ich auch bis heute nicht verstanden.
Willkommen in der Blogosphäre, werter Sitznachbar!
„Prolog“ wäre noch im semantisch verträglichen Rahmen gewesen.^^ Diese Dunkin-Donuts-Geschichte ist wohl nur ein weiterer Schritt zur global einheitlichen Corporate Identity aller denkbaren Dienstleistungen. …Vielleicht hätte ich den recht fürchterlichen „The Circle“ aber auch einfach nicht sehen sollen…
Du hast dir „The Circle“ angetan? Ich hab schon aufgegeben, als ich sah, das Emma Watson die Hauptrolle spielt. Nichts gegen Ms. Watson, aber wenn man das Buch kennt, stellt man sich da doch eine gänzlich andere weibliche Hauptfigur vor.
Hach ja, The Circle. Ist ja nicht so dass der grundlegend schlecht wäre. Aber derart viel ungenutztes Potential, derart viel Holzschnitt und Inkonsequenz, bei durchaus spannenden Ansätzen, das ist dann schon ärgerlich. Vielleicht schreib‘ ich noch was dazu. Und für die 130-Minuten-One-Woman-Show hätte es sicher auch mehr als Eye Candy Emma Watson bedurft. But hey, it’s Emma Watson!